Menu

Die Filterblase sind wir selbst

Können soziale Medien wie Facebook die Bundestagswahl entscheidend beeinflussen? Ja, meint Sascha Lobo. Aber auf andere Art als oft vermutet.

Fünf Tage bis zur Wahl in Frankreich, knapp fünf Monate noch bis zur Bundestagswahl. Die Welt ist aus Sicht der professionellen Politik in ihren Gewissheiten erschüttert worden, siehe Brexit. Von russischer Propaganda über Leaks bis zur Politik in sozialen Medien – das Internet erscheint dabei irgendwie entscheidend.

Twitter-Präsident Trump steht als Drohszenario für das, was geschieht, wenn man die Dynamik außerhalb der traditionellen Medienlandschaft unterschätzt. Schließlich hatten doch Hunderte Zeitungen Clinton empfohlen und praktisch keine ernstzunehmende Trump. Der wiederum bekam – sieht man von Murdochs Propaganda-Sender Fox News ab – eher aus dem Netz Unterstützung, oft von rechtsradikalen Blogs und Communitys.

Meine These: Soziale Medien können auch für die Bundestagswahl entscheidend werden, aber auf andere Art als oft vermutet.

Das hängt auch mit einem Konzept zusammen: dem der Filterbubble oder Filterblase. Dieser Erklärungsansatz wurde 2011 durch den Aktivisten Eli Pariser geprägt: das soziale Betriebssystem des Internets, Facebook, beeinflusse den Nachrichtenstrom algorithmisch, so dass man fast nur noch mit der eigenen Meinung konfrontiert werde.

Die „Süddeutsche Zeitung“ hat vor diesem Hintergrund ein Datenauswertungsprojekt zur politischen Wirkung von Facebook in Deutschlandaufgesetzt. Es ist ein wichtiges journalistisches Projekt, einige hervorragende Texte deuten die Ergebnisse. Brillant und gerade durch sein abwägendes Tasten zur Thematik lesenswert ist etwa ein Artikel mit dem etwas unglücklichen Titel „Filterblase? Selbst schuld“.

Aber meiner Einschätzung nach finden sich zwei miteinander zusammenhängende Missverständnisse in dem Projekt, die typisch sind für die Fehleinschätzung der Macht des Netzes zur Bundestagswahl.

Es gibt mehrere Definitionen von Filterblase

Dem ersten Missverständnis kommt man auf die Spur, wenn man einzelne Aussagen vergleicht.

Gibt es nicht vs. gab es schon immer – der tatsächliche Widerspruch ist nicht so groß, wie es hier aus dem Kontext gerissen scheint, denn eigentlich ist im ersten Satz von Filterblasen in der strengen Definition die Rede.

Aber zum einen hat sich der ungünstig verkürzte Satz „Es gibt keine Filterblasen“ stark über die soziale Medien verbreitet. Und zum anderen weist diese Dissonanz auf ein Problem hin: Es gibt mehrere Definitionen von Filterblase. Dahinter stehen unterschiedliche Phänomene.

Wichtig ist intensive Beschäftigung

Die Ur-Definition stammt von Pariser und bezieht sich auf die Algorithmen vor allem von Facebook. Der Facebook-Algorithmus ändert sich aber häufig, er umfasst inzwischen wohl über 100.000 Faktoren, die mithilfe künstlicher Intelligenz zum jeweiligen Inhalte-Menü übersetzt werden. Zudem zielt er weniger auf Meinungskonformität als auf Engagement, also die intensive Beschäftigung mit Facebook-Inhalten. Und dieses Ziel kann je nach Persönlichkeit des Nutzers auch ganz anders erreicht werden als mit selbstähnlicher Meinung.

Eine andere Definition von Filterblase hat sich im Alltagsgebrauch des Netzes eingebürgert, eine eher positive Deutung, nämlich ein persönlicher Schutzraum. Bei mehreren Stunden am Tag in sozialen Medien hält niemand den ständigen Beschuss mit kontroversen Meinungen aus. Schon gar nicht, wenn bei manchen Themen verlässlich aus Engagement nackte Wut wird.

Filterblasen sind also auch ein persönlicher Kontrollmechanismus, um soziale Medien überhaupt zu ertragen; Funktionen wie Ausblenden, Entabonnieren oder Blocken sind die Werkzeuge dieser Schutzblase.

Nachrichten als soziale Dynamik

Eine weitere Definition erklärt das zweite Missverständnis, das für die Bundestagswahl wichtiger sein dürfte. „Filterblasen gab es schon immer“, das stimmt, aber es zeigt, dass nicht soziale Medien der Ort sind, wo Filterblasen zum Problem werden. Sondern die Köpfe der Menschen. Es ist ja nicht neu, dass man eher Medien konsumiert, die der eigenen Haltung irgendwie entsprechen.

Was aber soziale Medien so wirkmächtig macht, ist weniger die Tatsache, dass bestimmte Gruppen nur eindimensional ausgewählte Medien konsumieren und dadurch polarisiert werden. Das ist – wie man an Fox News erkennt – unbedingt ein Problem, hängt aber nur zum Teil mit sozialen Medien zusammen.

Die Wirkmacht besteht vielmehr aus der Einordnung und Ausdeutung von Inhalten in der Gruppe: Nachrichten als soziale Dynamik. Oft lässt sich beobachten, dass in eindeutig rechten Gruppen eher linke Artikel geteilt werden. Sie funktionieren dann zur Abgrenzung oder als Beweis für die Verlogenheit der Medien.

Bei einer algorithmischen Messung würde dabei vermeintlich die Filterblase der Gleichdenkenden durchbrochen, oho, die Rechten lesen auch linke Artikel – in Wahrheit aber ist die Wirkung ins Gegenteil verkehrt.

Warum ist ein Teil der Öffentlichkeit so anfällig für Fake News?

Genau das ist der Fehler, der in der deutschen Wahrnehmung sozialer Medien oft gemacht wird: die quantitativ schwer oder gar nicht messbaren psychologischen und sozialen Wirkungen werden ignoriert. Man redet von der Gefahr der Filterblasen, ohne die kognitive Vielschichtigkeit zu erkennen. Man redet von Bots, ohne zu wissen, wie genau ein Social Bot jemanden überzeugen könnte. Man redet von Fake News, ohne sich anzuschauen, weshalb die eigentlich verbreitet werden.

Die wichtigste Frage aber muss doch lauten: Warum ist ein Teil der Öffentlichkeit so anfällig für Fake News, Echokammern, Verschwörungstheorien? Ich halte zum Beispiel den tiefen, oft glühenden Hass auf Angela Merkel in bestimmten Kreisen sozialer Medien viel eher für das Symptom eines Problems als für das Problem selbst.

Die Leute ahnen häufig, dass eine geteilte Merkel-News so kaum stimmen kann – aber es ist nicht so wichtig, weil die Verbreitung eine soziale Funktion erfüllt: ein Symbol der Gruppenzugehörigkeit.

Es braucht mehr als Technik

Ähnlich verhält es sich mit den verschiedenen Phänomenen, die sich hinter dem Begriff Filterblase verbergen. Dafür spricht auch, dass sich die stärksten politischen Effekte aus der Verbindung sozialer mit redaktionellen Medien ergeben und zwar mit einzelnen, auf Verbreitung gebürsteten Artikeln.

Ein wichtiges Mittel gegen die uralten Filterblasen in den Köpfen war bisher Pluralismus, und zwar auch der Binnenpluralismus in einzelnen, redaktionellen Medien. Soziale Medien haben dieses Prinzip aufgebrochen.

Wir mögen das als technisch aufbereitete Filterblase wahrnehmen. Aber es handelt sich um ein gesellschaftliches Problem, das sich nicht allein mit technischen Mitteln lösen lässt, wenn Facebook bloß endlich den richtigen Algorithmus einführt.

Ein Freibrief für selektive Wahrnehmung

Man erkennt das gut am Kampfruf „Lügenpresse“. Einigermaßen überraschend ist es in „Lügenpresse“-Kreisen nämlich sehr verbreitet, Artikel aus den so beschimpften Medien zu Teilen mit Sätzen wie: „Huch, hier steht die Wahrheit, da ist dem Zensor wohl was durchgerutscht“. Das verrät das Grundproblem: Wer „Lügenpresse“ sagt (wenige) oder denkt (verstörend viele), meint damit nicht, dass alles in der Presse gelogen sei. Er stellt sich damit selbst einen Freibrief für selektive Wahrnehmung aus: Ich glaube nur Artikel, die mir in den Kram passen.

Vergleichbar, zeigt die jüngste Forschung, handeln aber nicht nur Rechte und Rechtsextreme – sondern fast alle. Die kognitive Verzerrung namens „Bestätigungsfehler“ – Informationen so auszusuchen und zu interpretieren, dass sie das eigene Weltbild stützen -, sie spielt links wie rechts. Liken, sharen, Filterblasen sind damit wahrscheinlich das Symptom einer Vertrauenskrise der großen Denk- und Ordnungssysteme des 20. Jahrhunderts wie Demokratie, Kapitalismus oder Wissenschaft und ihrer Protagonisten, der vermeintlich oder tatsächlich verantwortlichen Elite also. Deshalb lässt sich das Problem in Deutschland eben nicht allein am Wahlergebnis der AfD ablesen oder am Grad der Filterblasizität.

Die Wahrheit ist, dass wir noch zu wenig über die Wirkung sozialer Medien auf die Gesellschaft wissen. Es lässt sich aber abschätzen, dass sie durch ihre Funktion des flächendeckenden Rückkanals eine Reihe von Illusionen platzen lassen, denen Politik, klassische Medien, Meinungsforschung, die ganze politische Öffentlichkeit bisher aufsaß.

Das würde bedeuten: Die sozialen Medien sind viel stärker Indikator und vielleicht Katalysator als Motor einer gesellschaftlichen Veränderung, die sich ergibt, weil die Welt im Detail doch anders ist, als wir – die eher Liberalen, Vernetzten, global Denkenden – dachten. Unsere Selbstverständlichkeiten sind nicht so selbstverständlich wie gedacht oder erhofft. Wir sind selbst eine Filterblase. Und sie platzt.

Link zum Original

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzbestimmungen.