
Man hat uns fliegende Autos versprochen, verdammt!
Im April 2017 hat der Wettlauf um das fliegende Auto begonnen. Das mag nach Freiheit klingen – könnte aber zum Gegenteil führen.
Die Filmindustrie, die Medien, die Finanzwirtschaft – den Offensiv-Kapitalisten im Silicon Valley kann man sicher vieles vorwerfen, aber Angst vor mächtigen Gegnern gehört nicht dazu. Deshalb attackiert das Silicon Valley jetzt den vorläufigen Endgegner: die Schwerkraft. Und zwar in Form von fliegenden Autos.
Man hatte uns schließlich fliegende Autos versprochen, verdammt! Die Leute, die sich im 20. Jahrhundert die Zukünfte ausmalten, illustrierten die kommende Welt mit fliegendem Individualverkehr. Vom Genius des Retrofuturismus, Klaus Bürgle, über „Star Wars“ bis „Zurück in die Zukunft“. Das Produkt Auto wurde als Symbol der Freiheit vermarktet, also schien das fliegende Auto die Verlängerung der Freiheit in die Dreidimensionalität.
Bürgles wunderbare Zeichnungen stehen inzwischen für die Wehmut nach einer Zukunft, die nie kam. Ganz ähnlich wird das fliegende Auto alles – aber kein Symbol der Freiheit. Stattdessen wird es die dingliche Welt nach dem Prinzip des digitalen Kapitalismus ordnen: Kontrolle, Zugang und Vernetzung. Und nebenbei wohl den Niedergang der traditionellen deutschen Automobilwirtschaft vorantreiben.
Hinweis an die Autoindustrie: Das fliegende Auto ist elektrisch
Deutschland ist auch ein reiches Land, weil deutsche Autos so gefragt sind. Aber der Technologievorsprung deutscher Autokonzerne bezieht sich in erster Linie auf den Verbrennungsmotor. Schon der derzeitige Wandel zum Elektromotor erfolgt spät, holprig und unwillig. Dass 2017 ein Elektroauto-Start-up aus Kalifornien die mit Abstand beste Ladeinfrastruktur in Deutschland bereitstellt, wo eigentlich Strom aus jeder Straßenlaterne in Elektroautos fließen könnte, beweist das erneut. Wenn aber die wichtigste deutsche Industrie schon den mittelgroßen Schritt zum Elektroauto derart zu versemmeln droht – wie wird es dann erst beim großen Schritt zum fliegenden Auto?
Den April 2017 kann man als Startschuss des Rennens um das fliegende – und selbstredend elektrische – Auto betrachten, denn soeben wurden drei der vielversprechendsten Konzepte vorgestellt.
- Kitty Hawk mit Google-Gründer Larry Page als Unterstützer führt sein Modell Kitty Hawk Flyer vor: Ein Prototyp für den Flug über Wasser, der eher als fliegendes Motorrad betrachtet werden muss. Davon darf man sich nicht täuschen lassen, die Strategie von Kitty Hawk ist, so früh wie möglich – Ende 2017 – ein Produkt für Nerds auf den Markt zu bringen, mit dem Erfahrungen für den Massenmarkt gesammelt werden.
- Das mit 70 Milliarden Dollar wertvollste Start-up der Welt, Uber, gab am 25. April auf seinem „Elevate Summit“ bekannt, dass es bis 2020 „Urban on-demand air transportation“ anbieten will. Ein Uber mit fliegenden Autos in der Stadt – man kann sich kaum etwas vorstellen, was in den Augen deutscher Regulierer noch verbotener gehört. Aber die Pläne sind so konkret und finanziell so gut gestützt, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit umgesetzt werden.
- Ein paar Tage zuvor präsentiert das bayerisches Start-up Lilium Aviation sein Modell eines emissionsfreien Mini-Jets, das hubschrauberhaft senkrecht startet und landet. 300 Kilometer Reichweite soll es erreichen, mit bis zu 300 km/h. Die Gründer stellen sich eine taxiartige Vermarktung vor. Auch deshalb, weil in Deutschland natürlich eine Pilotenlizenz notwendig sein dürfte. Mindestens.
Potenzial für den Albtraum vom Fliegen
An großen Worten für die Wirkung des fliegenden Autos spart niemand, der in diesem Feld arbeitet oder investiert. „Staus abschaffen“ ist noch das kleinste Versprechen, „per Luftpendeln das Problem teurer Mieten in Städten lösen“ gibt es gratis obendrauf. Wie üblich hat Uber die größte Schnauze: „Wir brauchen keine stinkenden Brücken!“ sagt der von der NASA abgeworbene technische Leiter für Fluggerät bei Uber, er hält Infrastruktur des 20. Jahrhunderts wie Straßen für altmodisch bis obsolet. Gleichzeitig Problem und Chance dieser großspurigen Ankündigungen ist, dass sie durchaus Realität werden können. Die Frage ist eher wann als ob.
Deshalb ist es notwendig, nicht nur begeistert-visionär, sondern auch kritisch die Zukunft zu zeichnen, wenn fliegende Autos die Bedeutung des heutigen Autos bekommen. Egal ob das 2025, 2050 oder später sein wird. Persönlich mangelt es mir nicht an Begeisterung für Flugautos, und die Möglichkeiten sind zweifellos großartig. Aber der Traum vom Fliegen hat in Kombination mit den politischen und ökonomischen Entwicklungen das Potenzial für einen Albtraum vom Fliegen.
Es folgt: eine nicht unwahrscheinliche, kleine Dystopie
Das fliegende Standard-Auto der Zukunft wird sehr viel mehr einer Drohne mit Personenladung ähneln als den Gerätschaften, die einem das Gefühl der Flugfreiheit vermittelt haben. Normalität für den Endkunden wird nicht der Gedanke „Freier Flug für freie Bürger!“, sondern der Autopilot. Und zwar der Zwangsautopilot. Natürlich. Wer möchte schon in einer Gesellschaft leben, in der Raser, Road Rage und Rowdies die dritte Dimension erobern?
Der Eintritt in den Markt wird über Plattformen mit taxiartigem Ridesharing und hochautomatisiertem Carsharing erfolgen, weil zu Beginn die einzelnen Geräte sehr teuer und sehr stark reguliert sein werden. Beides steht dem Konzept des Individualverkehrs stark entgegen. Weil gleichzeitig der Wunsch nachlässt nach einem eigenen Gefährt, das statistisch betrachtet 97 Prozent der Zeit ungenutzt vor der Tür steht, kann es gut sein, dass fliegende Autos das Ende des massenhaften Individualverkehrs markieren.
Schließlich wird ein Wandel der Infrastruktur folgen, der einhergeht mit einer tiefen, umfassenden Kontrolle. „Stinkende Brücken“, Straßen, Autobahnen werden weitgehend irrelevant für fliegende Autos, das liegt nahe. Früher oder später wird die Frage also sein, ob man zum Beispiel neue Gebiete überhaupt noch mit klassischen Straßen erschließt. Oder ob das, was heute als Gated Community das Krönchen des abgeschirmten Luxuslebens ist, nicht zukünftig Fly-Only Communities werden: Bereiche, die sich ausschließlich fliegend erreichen lassen. Präziser könnte der Zugang unerwünschter Personen kaum reguliert werden.
Wir leben in Zeiten, in denen das Gefühl der Sicherheit über alles andere gestellt wird. Und Straßen haben eben diesen Nachteil, dass sie so einfach und universal verwendbar sind – und damit schwerer kontrollierbar. Kein Zufall, dass sich der Kontrollwunsch der Gesellschaft immer intensiver auf die Straße bezieht, mit Messungen via Toll Collect, mit der Maut, mit der zunehmenden Vernetzung und vernetzten Regulierung des Automobils: Anzeichen, dass individuelle Bewegungen immer stärker kontrolliert werden. Es gibt dafür auch gute Argumente, vor allem eben Sicherheit.
Jede Bewegung eines fliegenden Autos wird zur Frage der Erlaubnis
Uber und die NASA haben soeben die wichtigsten Verhandlungen zum fliegenden Auto begonnen: mit der US-Flugbehörde FAA. Ziel ist die Entwicklung einer Regulierung, die geeignet ist für die kommende Bespielung des Luftraums. Wo nicht mehr nur mit ein paar Tausend Großgeräte unterwegs sind, gesteuert von Profis am Boden und in der Luft. Sondern Milliarden Flugmaschinen von Nanodrohnen im Schwarm bis zu fliegenden Autos.
An einer automatisierten, algorithmischen Kontrolle in Form von intelligenten, rigiden Protokollen wird kein Weg vorbeiführen. Die einzige Frage ist, wie viel gefühlter Freiraum einzelnen Personen noch gelassen wird: Modell Achterbahn (null Freiraum) oder Modell Klingeldraht-Spiel (homöopathischer Freiraum samt Sanktionierung bei überschreiten der engen Grenzen). Damit wird – schon aus Sicherheitsgründen – jede Bewegung mit einem fliegenden Auto eine Frage der Erlaubnis. Und wenn nicht von Beginn an, dann doch spätestens nach dem ersten Terroranschlag mithilfe eines fliegenden Autos.
Das aber bedeutet auch, dass das fliegende Auto das Gegenteil des Freiheitsduftes mit sich bringen dürfte, von dem es jetzt noch scheinbar umweht wird. Stattdessen wird es als machtvolles Instrument menschlicher Zugangskontrolle benutzt werden können, sowohl politisch wie auch ökonomisch. Die Prinzipien der Internetplattformen – Access, Rechtemanagement, kontrollierte Vernetzung – werden auf die Mobilität in der dinglichen Welt ausgedehnt. Eine Dystopie, sicher. Aber eben nicht für alle. Und deshalb wird sie möglich.