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Programmieren lernen hilft nicht immer

Sollten Kinder in der Schule programmieren lernen? Nein, nicht unbedingt, findet unser Kolumnist Sascha Lobo.

Bundeskanzlerin Merkel hat es in den letzten Monaten mehrfach gesagt: Kinder sollten in der Schule programmieren lernen. Die Begründung als Zitat: „Ich glaube, dass die Fähigkeit zum Programmieren eine der Basisfähigkeiten von jungen Menschen wird, neben Lesen, Schreiben, Rechnen.“ Merkel reiht sich damit ein in eine politische Forderungslandschaft quer durch die Parteien.

Ein wenig überraschend vielleicht – aber ich glaube, dass Kinder nicht in der Schule programmieren lernen müssen. Wenn sie wollen, großartig, das deutsche Bildungssystem verträgt ohne Zweifel eine Reduktion des Prinzips Zwang. Aber die nicht nur von Merkel unterstellte Priorität, Programmieren auf eine Stufe zu stellen mit Lesen, Schreiben, Rechnen, beruht meiner Ansicht nach auf ein paar Fehlschlüssen.

Ich formuliere das absichtlich vorsichtig („ich glaube“), weil ich darin den ersten Fehler der Diskussion um Bildungsfragen der Zukunft sehe: die übergroße Gewissheit, mit der behauptet wird, X müsse um jeden Preis oder Y sei unser einziger Ausweg oder Z dürfe auf keinen Fall wegen umgehenden Abendlanduntergangs, Ausrufezeichen! Das erschwert die Diskussion in einem Feld, das wegen der verständlichen Emotionalität („Unsere Kinder!“) ohnehin nicht besonders objektiv geführt wird.

Wenn man keinen Hammer hat, wirken alle Probleme wie Nägel

Der erste und wichtigste Grund für meine Haltung – kein Pflichtfach Programmieren in den Schulen – ist, dass ich den Plan für eine Wunschlösung halte. Also nicht die funktionierende, sondern bloß die gewünschte Lösung eines Problems. Man stellt fest, dass die digitale Sphäre für alle Bereiche des Lebens eminent wichtig ist, und möchte in edler Absicht die Kinder darauf vorbereiten, also sollen sie programmieren lernen, denn das steht doch irgendwie hinter allem Digitalen, oder etwa nicht?

In den Achtziger-, Neunziger- und Nullerjahren gab es eine oft gehörte Nerd-Zuschreibung: „Die/der kann Computer!“ Das stand für die vermeintliche Beherrschung der gesamten digitalen Sphäre, weil aus der Perspektive der Nichtsachkundigen die Einrichtung eines Routers, das Coden eines Scripts, die Verlegung eines Netzwerkkabels und das Abstellen der automatischen Grammatikkorrektur in Microsoft Office das Gleiche ist: Computer können. Wenn man keinen Hammer hat, sehen alle unlösbaren Probleme aus wie Nägel.

Daran erinnert mich die Diskussion, denn „programmieren lernen“ steht als Symbol dafür, mit den Herausforderungen der digitalen Welt besser zurechtzukommen. Die Kenntnis einer Programmiersprache steht als Pars pro Toto für die Hoffnung, unsere Kinder mögen die gewaltige Gesellschaftsaufgabe Digitalisierung doch besser meistern als wir. Genau das halte ich für falsch.

Es fehlen ganz andere Kenntnisse

Nicht nur Unsachkundige ziehen diesen Fehlschluss. Im Gegenteil ist ein großer Defekt der Nerd- und Digitalkultur die Überzeugung, dass man die Welt versteht, wenn man Programmiersprachen versteht. Das Digitale sei so groß, prägend und wichtig, dass der Rest als Anhängsel verstanden werden könne, das nach den gleichen Regeln funktioniere. Eine Hybris, die vermischt mit gigantischen Geldmengen auch ein wesentlicher Treiber des Weltverbesserungsgetöses Marke Silicon Valley ist. Fast könnte man in einem Schulfach Programmieren ein politisches Überbleibsel der schwindenden Piratenpartei sehen, die bloß auf die richtige Software wartete, um endlich die Demokratie zu verbessern.

Aber so ist es nicht: Wer programmieren kann, kann programmieren – was aber dringend und immer schmerzlicher fehlt, ist ein Verständnis der Zusammenhänge einer digital vernetzten Welt und nicht ihrer kleinsten Bausteine. Es lässt sich grob mit dem Kenntnisunterschied zwischen einer Stadtplanerin und einem Maurer vergleichen, wenn man das Ziel hat, eine Stadt zu verstehen.

Bildungspolitik muss auch in Jahrzehnten gedacht werden

Ein zweites Argument gegen das verpflichtende Programmierenlernen ist die Entwicklung der Technologie selbst, vor allem der künstlichen Intelligenz (KI). Im Januar 2017 wurde bekannt, dass Google eine KI-Software entwickelt hat, die ihrerseits selbst KI-Software entwickelt. Das ist eines der vielen Anzeichen, dass sich die Programmierung selbst gerade massiv verändert. Von außen betrachtet ähnelt ein wenig HTML-Gefuchtel der Programmierung eines Smartphone-Betriebssystems in einer Sprache wie C. Aber faktisch existiert beim Programmieren eine ungeheure Spreizbreite. Und immer größere Teile lassen sich zumindest teilautomatisieren.

Das heißt nicht unbedingt, dass es irgendwann keine Programmierer mehr gibt, weil Maschinen alles übernehmen. Es kann aber heißen, dass Programmierung weder als Job so zukunftssicher ist, wie man bisher glaubt, noch in der Breite so relevant, wie es die Existenz eines Schulfachs Programmierung voraussetzen würde. Je besser das Sprachverständnis der Maschine und je klüger die dahinterstehende künstliche Intelligenz – desto mehr wird die wichtigste Programmiersprache die gesprochene Sprache selbst.

Gerade die Einschätzung der Wirkmacht und der mittelfristigen Entwicklung der künstlichen Intelligenz ist hier ebenso schwierig wie notwendig: Bildungspolitik muss auch in Jahrzehnten gedacht werden. Im Januar 2017 hat Google-Gründer Sergey Brin in Davos offen zugegeben, dass er künstliche Intelligenz viel zu lang unterschätzt habe und dass es im Moment kaum möglich sei, die technologischen Möglichkeiten vorherzusagen. Obwohl er das Unternehmen führt, das KI mit am besten verstanden hat.

Die Chance ist nicht gering, dass im klassischen Takt deutscher Bildungspolitik im Spätsommer 2032 ein Rahmenplan „Programmieren in der Schule“ feststünde, der eher digitalarchäologischen Kriterien genügt, als ein digitales Grundverständnis zu vermitteln. Das spricht explizit nicht gegen ausgewählte Projekte, um ein basales Verständnis der Programmierung zu erreichen. Es spricht aber klar dagegen, Programmieren auf eine Stufe mit Lesen, Schreiben, Rechnen zu hieven.

Lernen für die Fabrik

Und schließlich, als drittes Argument, könnte man dorthin schauen, wo ich aufgewachsen bin, in die halbe Stadt, die es nicht mehr gibt: West-Berlin. In den Siebzigerjahren gelangte dort ein gesellschaftlicher Trend zur vollen Blüte: das Bildungskonzept der Gesamtschule. Maßgeblich Ende der Sechzigerjahre geprägt vom reformerischen Berliner Schulsenator Carl-Heinz Evers, bekam sie eine architektonische Entsprechung. Eine Anzahl von Gesamtschulen wurden in West-Berlin neu gebaut – und sie sahen aus wie Fabriken: Kiesbetonplatten, schlitzartige Fensterreihen, offen sichtbare Lüftungsrohre im Innern. Sogar Fake-Schornsteine wurden auf den Dächern montiert. Die meisten dieser Bauten sind längst abgerissen, in fast allen war nämlich Asbest verbaut; ein paar Videoclips vermitteln aber noch einen Eindruck:

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https://www.youtube.com/watch?v=JRIzCgQUqU4

Dahinter stand auch die Idee, dass man die Schüler schon während der Ausbildung an ihre späteren Arbeitsstätten gewöhnen wollte. Fabriken nämlich. Man richtete also Schulbildung weniger nach den Bedürfnissen der Schüler aus als viel mehr nach denen der Wirtschaft. Aus heutiger Perspektive erscheinen diese Betonschulfabriken absurd bis menschenfeindlich. Aber damals dachte man, sie seien ebenso modern wie volkswirtschaftlich notwendig. Weil man die Entwicklung der Industrialisierung, der dazugehörigen Arbeit und ihre Wirkung auf den Menschen ziemlich falsch eingeschätzt hat.

Wie gesagt: Ich bin in diesem Punkt nicht vollkommen sicher und sehe auch einige gute Argumente für Programmieren als Schulinhalt (schon allein, dass sich die altstarren Pädagogen- und Philologen-Funktionäre blau ärgern würden). Aber ein bisschen befürchte ich, dass sich die Bildungsgeschichte wiederholt.

Anmerkung: Bildung ist seit längerer Zeit ein Schwerpunkt meiner Projektarbeit, gegenwärtig arbeite ich an einem Projekt mit einem großen Schulbuchverlag. Programmierung als Inhalt in der Schule ist aber weder im positiven noch im negativen Teil dieses Projekts, ich habe auf den Inhalt dieser Kolumne bezogen also keine wirtschaftlichen Interessen.

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