
Wenn Maschinen über Menschen entscheiden
Kaum ein Feld der Technologie ist so unterschätzt und überschätzt wie künstliche Intelligenz. Maschinen entscheiden nämlich ganz anders, als Menschen es sich ausdenken. Das kann gut oder gruselig sein.
Während Sie diesen Text lesen, bringt sich jemand um. Das wird nicht überraschend geschehen, in aller Regel weist eine Fülle von Zeichen auf eine kommende Selbsttötung hin. Wenn Sie die Haltung vertreten, dass Suizide verhindert werden sollten: Hier ließen sich Millionen Leben retten, wenn die Muster rechtzeitig erkannt würden. Nur ist vergleichsweise selten jemand da, der diese Anzeichen bemerkt, richtig deutet und eingreift.
Dieser Jemand ist seit ein paar Tagen eine intelligente Maschine. Anfang März verkündete Mark Zuckerberg, dass Facebooks künstliche Intelligenz in Zukunft Facebook auf Muster in den Postings der Nutzer achten wird, die auf einen geplanten Suizid hindeuten könnten. Die werden dann als gefährdet geflaggt und besonders vorsichtig behandelt.
Das ist erst der Anfang, denn je mehr Datenquellen ausgewertet werden können, desto besser lässt sich inzwischen vorhersagen, ob jemand suizidgefährdet ist oder die Tat unmittelbar plant. Ein Start-up namens Cogito im Umfeld des Bostoner MIT kann an einer intelligenten Stimmanalyse die psychische Gesundheit einschätzen, inklusive der Depressionsneigung – in Echtzeit. Soeben erscheint eine Studie der Universität Florida, die mit den Mitteln des Machine Learnings (ein Teilaspekt der künstlichen Intelligenz) mit bis zu 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit herausfinden konnte, wer aus einer Risikogruppe innerhalb der nächsten zwei Jahre einen Suizidversuch unternehmen würde.
Künstliche Intelligenz steht vor dem Durchbruch – diesmal wirklich
Ärgerlicherweise liest man seit mindestens 20 Jahren regelmäßig, dass der Durchbruch der künstlichen Intelligenz (KI) unmittelbar bevorsteht. Aber jetzt stimmt es wirklich. Natürlich abhängig davon, was man unter Durchbruch genau versteht. Ein wiederkehrendes Muster des Fortschritts: Man hört so lange Ankündigungen, bis man sie nicht mehr hören kann – und plötzlich sind sie Realität. So war es mit dem mobilen Internet, mit der Wirkmacht der sozialen Medien. Jetzt ist es künstliche Intelligenz, das nächste große Schlachtfeld der Ökonomie, das in fast jeden Bereich eingreifen kann und irgendwann auch wird.
Kein Feld der Technologie ist gleichzeitig so unterschätzt und überschätzt wie die künstliche Intelligenz, und das liegt auch am geringen Verständnis, was genau das sein soll. Nebenbei ist das Jahr 2017 hervorragend dazu geeignet, schon natürliche Intelligenz anzuzweifeln.
Ein paar Schritte zurückgetreten – Technologie löst seit Jahrtausenden Probleme. Wenn drei Voraussetzungen vorliegen:
- Der Mensch hat das Problem erkannt.
- Der Mensch hat eine prinzipielle Lösung dafür erarbeitet.
- Der Mensch hat diese prinzipielle Lösung in die Form einer Maschine gebracht.
Künstliche Intelligenz ist hierbei der nächste Schritt: Die Technologie identifiziert selbst das eigentliche Problem, erarbeitet eine prinzipielle Lösung dafür und bildet diese in Form eines maschinellen Prozesses ab, der sich dazu noch stetig verbessern kann.
KI kann Probleme anders lösen, als der Mensch es sich ausgedacht hätte
Im Sommer 2016 hat Google Translate einen Quantensprung der Übersetzungsqualität gemacht. Noch nicht in allen Sprachen, aber zum Beispiel bei Französisch – Englisch. Der Grund dafür war der Einsatz der künstlichen Intelligenz. Die nämlich hatte entdeckt, dass es viel zielführender ist, erst mal eine eigene, neue Sprache zu entwickeln. Diese neue Sprache funktioniert etwas vereinfacht gesprochen als Mittelstück, denn sie ist sowohl mit dem Englischen als auch mit dem Französischen kompatibler als die Sprachen direkt.
Die gegenwärtige Essenz der künstlichen Intelligenz wird deutlich: Sie kann Probleme völlig anders lösen, als der Mensch es sich ausgedacht hätte. Sie erarbeitet eigene Lösungen, die dazu noch ständig verbessert werden können. Und selbst den Schöpfern der künstlichen Intelligenz ist nicht mehr klar, weshalb genau die Maschine welchen Lösungsweg gewählt hat.
Vor einem Jahr schlug bekannterweise Googles AlphaGo den Weltmeister im japanischen Brettspiel Go. Weniger bekannt: Das AlphaGo-Team hat einen Go-Meister angestellt, der den Programmierern erklärt, warum die Software einen bestimmten Zug gemacht haben könnte. Einige Spielzüge der Maschine waren niemals zuvor von Menschen getätigt worden, weil sie sinnlos erschienen. Nach menschlichen Maßstäben.
Künstliche Intelligenz basiert auf Mustererkennung und der Erkennung von Mustern in der Mustererkennung und so weiter und so fort. Neuronale Netze, gewissermaßen eine technische Infrastruktur der KI, treiben auf diese Weise die Mustererkennung auf die Spitze, ständig gefüttert mit neuen Daten, die die Mustererkennung wiederum verbessern. Und so auch die Vorhersagen über das Verhalten von Menschen oder Menschengruppen in bestimmten Situationen.
So erkennt Facebook welche Verwendung welcher Worte am wahrscheinlichsten zu einer Selbstgefährdung führt, ohne dass man der Maschine diese Worte vorher erklärt hätte.
Manches wird die Maschine besser entscheiden können als der Mensch
Als ökonomisch höchst interessantes Feld der künstlichen Intelligenz gilt „Decision Making“ für Unternehmensmanager: Die Maschine wertet alle verfügbaren Daten aus und empfiehlt dann eine Vorgehensweise. Es ist eine Frage der Zeit, bis solche maschinenunterstützten Entscheidungen in bestimmten Bereichen eine Qualität erreichen, die menschliche Entscheidungen als uninformiertes Herumvermuten erscheinen lässt.
Denn immer mehr Datenquellen können immer besser ausgewertet werden: Was ist auf einem Bild zu sehen? Was findet in einem Video statt? Aber auch: Was genau steht eigentlich in einem Text? In welchen der Millionen Dokumente eines Unternehmens ist ein Problem vielleicht schon behandelt worden?
Dabei tritt das „Warum“ in den Hintergrund, weil es für den Menschen selbst kaum mehr nachvollziehbar ist. Nach dem Motto: Warum hat der Computer die Markteinführung von veganer Ingwerlimonade empfohlen? Keine Ahnung, aber sie verkauft sie wie blöd.
Gleichermaßen großartig wie gruselig
Es wird deutlich, warum Artificial Intelligence diesmal wirklich vor dem Durchbruch zu stehen scheint. Die einfache Antwort ist die ökonomische Verwertbarkeit, die seit kurzer Zeit gegeben ist. Die komplexere Antwort: Eine Eigendynamik ist erkennbar. Seit Ende 2016 kann KI-Software KI-Software schreiben. Die wirklich neue Intensität der künstlichen Intelligenz lässt sich seit Februar 2017 anhand von Forschungsergebnissen von Google Brain auch für Laien verständlich visualisieren.
#GoogleBrain super-resolution image tech makes “zoom, enhance!” a real thing https://t.co/c4LJ2It0rr by @mrseb pic.twitter.com/cLOK5y5Bn2
— Ars Technica UK (@ArsTechnicaUK) 9. Februar 2017
Und das ist gleichermaßen großartig wie gruselig. Denn zurück zur Ausgangslage würde das bedeuten: Die Vorhersagen einer künstlichen Intelligenz beruhen nicht mehr nur auf der Mustererkennung vorhandener Daten, sondern immer stärker auch auf vermuteten. Bei der Vorhersage von Selbsttötungen erscheint das vielleicht annehmbar. Aber wie wäre es, wenn man künftig als „potenziell kriminell“ geflaggt würde?
Sehr geehrter Herr Lobo, ich bitte Sie herzlich darum, in Ihren zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträgen künftig den Begriff der Künstlichen Intelligenz (KI,AI) zu SCHONEN, indem sie stattdessen korrekt „Digitalisierung, Automatisierung“ verwenden. KI ist ein Teilbereich der Informatik, eine wissenschaftlich-technische Disziplin, die sich, auch nach Absicht ihrer Namensgeber, mit dem Phänomen der INTELLIGENZ befaßt. Sie umfaßt viele Teilbereiche, die aber jeder für sich eben nicht Intelligenz bedeuten, sondern aus Marketing-Gründen nur so genannt werden. Zu einigen Teilbereichen gab es mal einen Höhepunkt, der sich dann immer selbst „die AI“ nannte – Heuristisches Problemlösen, Spiele, Expertensystemtechnik, Graphische Mustererkennung , Robotik – heute ist es die generelle Mustererkennung auf Massendaten. Aufgrund einer absichtlichen Vermengung mit menschelnden Eigenschaften ist ein begriffliches Chaos entstanden. Sie haben das in einigen Ihrer Essays rel. scharf herausgearbeitet, aber halten sich selbst nicht daran. Eine Turing-Maschine kann weder denken, noch entscheiden, noch Rat geben. Es gibt bis jetzt keine KI als Phänomen oder Eigenschaft eines Programms. Erst recht hat diese nichts mit Bewußtsein, Verantwortung, Ethik, Moral, Würde des Menschen zu tun. Das sind alles unsaubere Gleichnisse zur Verwirrung der Menschen. Übertreibungen aus Marktgeschrei. In Wirklichkeit wird diese wunderbare Disziplin damit unrettbar beschädigt. Ich gehöre zu den dienstältesten professionellen KI-Forschern der Welt und kenne einige der Begründer der KI (z.B. John McCarthy) persönlich. (auch Konrad Zuse, aber der hat bloß den Rechner erfunden). Die zentrale Disziplin der KI ist bis heute ein System zum automatischen Bilden und Transformieren von Begriffen zur Repräsentation der Welt und „seiner selbst“ (das meint nicht Bewußtsein!).
Das war übrigens auch ein Hauptanliegen der Dartmouth-Gründerkonferenz und wurde durch den US-amerikanischen Utilitarismus in den 80ern zu meinem Leidwesen zerstört. Ich arbeite bis heut auf diesem Gebiet und habe im Verborgenen ein beträchtliches System hervorgebracht, das sehr wohl als Verstärker menschlicher Intelligenz für jeden infrage kommt; ein kleiner David gegen den großen digitalkapitalistischen Verblödungs-Goliath. Wenn Sie Interesse haben, melden Sie sich. KD