
Adblocker sind nur das Symptom
Sascha Lobo hat eine Hassliebe zur Onlinewerbung – und kann Internetnutzer verstehen, die sich an Onlineanzeigen stören. Deshalb hofft er auf mehr Experimente mit Klub- und Bezahlmodellen.
Diesen Text lesen Sie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, während Sie die Werbebanner drum herum ausblenden. Mithilfe eines Adblockers. Dieser Umstand macht Sie als Leser zu einem Politikum. Das ist für viele Verlage ein Problem.
Meine These ist eine andere. Nicht, weil mir Medien egal wären. Im Gegenteil möchte ich, dass es professionellen, privat finanzierten Journalismus auch im Netz gibt, denn ich halte ihn für essenziell notwendig für eine demokratische Gesellschaft. Aber ich glaube, dass Adblocker eine beinahe logische Konsequenz aus zwei Entwicklungen sind:
- der Entbündelungskraft der digitalen Transformation
- der vielschichtigen Fehlentwicklungen der Onlinewerbung
Entbündelung ist ein wiederkehrendes Muster der Medienwelt, das sich digital noch intensiviert. Zum Börsengang des Browsers Netscape in den Neunzigerjahren brachte CEO Jim Barksdale einen so fluffigen wie treffenden Spruch: „Ich kenne nur zwei Methoden, um Geld zu verdienen: Bündelung und Entbündelung.“ Diese abstrakte Begriffswitzelei wird konkret, weil die digitale Welt aus Informationsströmen besteht. Nutzer treten ihnen von jeher mit Filtern gegenüber – und diese Filter werden immer feiner und individueller einstellbar.
Computer sind perfekte Entbündelungsinstrumente. iTunes, inzwischen zur grauenvollsten Software der Unterhaltungswelt geronnen, hatte die wirtschaftliche Wirkmacht der Entbündelung Anfang des Jahrtausends vorgeführt: Ein guter Teil des Umsatzrückgangs der Musikindustrie beruhte darauf, dass statt ganzer Alben nun Musikstücke einzeln gekauft werden konnten. Spotify führt dagegen die Kraft der (Neu-)Bündelung vor.
Auf Adblocker bezogen heißt das: Der gefühlte Vertrag, dass Nutzer Anzeigen anschauen müssten, wenn sie die Inhalte daneben genießen wollen, ist nie geschlossen worden, sondern war immer nur eine implizierte Hoffnung der Anbieterseite, ein Narrativ aus vordigitalen Zeiten, als die Bündelung von Werbung und Inhalt für Nutzer kaum automatisiert auflösbar schien.
Der technische Stand der Werbung ist beschämend
Der Informationsstrom Inhalt und der Informationsstrom Werbung sind künstlich zusammengeschweißt, und diese Schweißnaht wird entbündelt. Man kann das doof finden oder egal oder toll, aber es handelt sich erst einmal um ein wiederkehrendes, digitales Muster. Nutzerseitige Entbündelung lässt sich aus digitalstrukturellen Gründen kaum aufhalten. Das zu verstehen, ist vor allem für Medienleute wichtig, weil in falschen Kämpfen viel Energie verloren geht.
Die zweite Entwicklung ist besorgniserregender. Persönlich hege ich lange eine Art Hassliebe zur Werbung, ich halte sie für medial und wirtschaftlich notwendig (und habe auf viele Weisen in der Werbung gearbeitet). Aber – eigentlich eine fantastische Großironie – ausgerechnet die Kunst der wirtschaftlichen Verführung ist ständig in Gefahr, selbst verführt zu werden. Und so dunklen Pfaden zu folgen:
- Der technische Stand der Onlinewerbung ist teilweise beschämend. Ladezeiten, visuelle Aufbereitung, Formate erscheinen Nutzern häufig invasiv. Der falsche Glaube an erzwingbare Bündelung geht davon aus, dass Nutzer noch jeden Köder schlucken müssen. Aber wer so denkt, denkt nicht an Usability – die die heilige Regel der Netzwelt sein sollte.
- Werbung hat in einigen Fällen ihren ursprünglichen Maßstab Kreativität geopfert und betet zu einem neuen Gott: Daten. Das ist auch deshalb unklug, weil sie damit die Deutungshoheit über den eigenen Markt an Datenplattformen übertragen hat. Nebenbei enthält die investorengetriebene Erzählung der Datenallmacht wie viele Mythen des Alltags einen wahren Kern und viel Hokuspokus drum herum.
- Durch Datengläubigkeit ist ein Teil der Onlinewerbung zu einem Überwachungsmarkt der Profilbildung geworden, was durchaus als beängstigend empfunden werden kann. Vorschläge, per Datenauswertung herauszufinden,wann sich Frauen hässlich fühlen, um ihnen dann Kosmetika anzupreisen , lassen das Unwohlsein erahnen.
- Onlinewerbung ist mit ihren Plattformen, Subunternehmern und Subsubsubunternehmern so komplex und damit missbrauchsanfällig geworden, dass regelmäßig Malware über Anzeigen verteilt wird. (Dazu sehenswert: ein Vortrag von Frank Rieger und Thorsten Schröder ).
Diese Entwicklungen sind nicht alle zwingend, sie müssen zum Teil durchaus differenziert betrachtet werden, und viele Seiten setzen ihr deutliche Grenzen. SPIEGEL ONLINE ist natürlich eine davon. Aber die Tendenz des Marktes insgesamt geht in diese Richtung. Und wegen dieser Praktiken werden Adblocker von einigen Nutzern als ein Akt der Notwehr empfunden. Mit Folgen auch für jene werbefinanzierten Seiten, die sich anders, besser verhalten wollen.
Wie geht es weiter? Soeben hat eine Umfrage ergeben, dass fast die Hälfte der Smartphone-Nutzer (USA) Adblocker nicht eingeschaltet haben – weil sie nicht wussten, dass das geht. Auch Entbündelung will gelernt sein. Und sie wird.
Deshalb ist es auch so ärgerlich, dass eine so problematische Unternehmung wie „AdBlockPlus“ Marktführer für Adblocker ist, denn die Lösung für werbefinanzierte Medien im Netz wird mit dem Phänomen Adblocking (sprich: Entbündelung) erarbeitet werden müssen und nicht dagegen.
Die Frage nämlich, wer die Gestaltungshoheit hat über den persönlichen Bildschirm vor der Nase, ist keine, die man rein „medienmoralisch“ beantworten könnte oder sollte. Dazu dringt die digitale Sphäre inzwischen zu tief in die Privatsphäre ein, es gibt also eine moralisch plausible Gegenbegründung aus Nutzersicht. Letztlich muss auch das Bedürfnis nach Entbündelung als Teil des digitalen Markts betrachtet werden. Und damit wird zentral, wie dieses Bedürfnis entsteht und wie es befriedigt werden kann.
Zum Glück ist das platteste Axiom des Informationszeitalters „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Paul Watzlawick) nur seiner Verwendungshäufigkeit durch Zitattröten wegen ja nicht gleich falsch. Da ist also eine Botschaft der adblockenden Nutzer für diejenigen Medien verborgen, wegen deren blinkenden, fauchenden, spionierenden Anzeigen sie diese Filtersoftware verwenden. Sie heißt: „Habt Ihr eigentlich einen Schaden?“ Was man nach Art des Internet übersetzen muss mit: „Macht mir bitte einfache, schnelle, bequeme Alternativangebote, die nicht maximalinvasiv daherkommen.“
Eine Rückbesinnung auf Überzeugung statt Tracking
Google hat jüngst Contributor vorgestellt, eine Art Adblocker-Abonnement, das per Monatsgebühr die Ausfälle durch Werbeerlöse kompensieren soll. Das ist auch für das Unternehmen selbst essentiell, weil die Preise für Google-Werbung fallen. Nicht zuletzt, weil die Wirksamkeit der Datenmaschinerie zwar vorhanden, aber eben nicht so hoch ist wie behauptet. Ähnlich versucht es das PR-umtriebige Start-up Optimal.com, das lautstark von einer „Adpocalypse“ spricht, vom Untergang der Onlinewerbung, sich aber als „ethischer Werbeblocker“ inszeniert. Als würde jemanden mit dem Gefühl, in Notwehr handeln zu müssen, eine behauptete Ethik überzeugen.
Was aber könnten Lösungsansätze sein? Für die Werbung (und damit für Marken) könnte es eine Rückbesinnung auf Überzeugung statt Tracking sein, also die Rückkehr zur leider wenig skalierbaren und deshalb teuren Kreativität. Tausche ein sensationell gedachtes und gemachtes Video gegen hundert Tracking-Dienste. Das würde auch das Gefühl, sich notwehren zu wollen, bei den entsprechenden Nutzern reduzieren. Eigentlich sollten doch goldene Zeiten für diejenigen herrschen, die Strukturen und Mechanismen der vernetzten, entbündelten Massenkommunikation begriffen haben – und die dafür benötigten, entkontextualisiert funktionierenden Inhalte für erstellen können.
Für solche Medien, die sich schon heute kaum mit Werbung refinanzieren können, ist die Lösung schwieriger greifbar. Intensiv müsste daher geforscht werden zwischen Paid Content, Abomodellen und dem monetarisierbaren Gefühl der Zugehörigkeit. Denn es ist gut möglich, dass redaktionelle Medien und Werbung nie wieder ihre Symbiose des 20. Jahrhunderts eingehen werden. Was wiederum nicht nur an der Entbündelung liegt, sondern auch an einem anderen Muster der digitalen Transformation: Es ist gar nicht so leicht, Ursache und Wirkung zu unterscheiden. Ich glaube, dass Adblocker nicht das Problem sind – sondern das Symptom des Problems.
tl;dr
Adblocker sind das Symptom, nicht das Problem.
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