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Zweifeln ist ja so geil

Der Zweifel ist eine Basis moderner, aufgeklärter Gesellschaften. Heute aber ist statt echter Skepsis die Pseudoskepsis auf dem Vormarsch. Und zwar nicht nur bei „Lügenpresse“-brüllenden Pegida-Demonstranten. 

Total modern: das Internet schlagen und die Gesellschaft meinen. In den vergangenen Monaten haben Ereignisse wie Montagsdemos, Pegida oder auch die Kommentarflut zur Ukraine-Situation eine mediale Renaissance der Diagnose „typische Internet-Verschwörungstheorie“ bewirkt. Diese Einschätzung greift zu kurz, denn hinter dem scheinbaren Aufblühen der Verschwörungstheorien steht etwas Größeres. Das nicht bloß mit dem Netz zu tun hat.

Ein Hurra auf die große Weltperspektive der Antike, die der Philosoph Descartes und in der Folge die Aufklärung neu für sich entdeckten: die Skepsis. Zweifeln ist so geil. Zweifeln als Herangehensweise an Welt und Wahrnehmung, als Grundeinstellung gegenüber dem unablässigen Behauptungshagel fast schon eine Form von Notwehr.

Die gesunde Skepsis versucht, durch Zweifel, durch Hinterfragen zu verstehen. Sich zweifelnd Wissen erarbeiten statt unüberprüft herumzuglauben. Den Wert der Skepsis für die moderne Wissenschaft und damit für die durchtechnisierte Welt von heute kann man kaum hoch genug einschätzen. Die Frage „Aber stimmt das überhaupt?“ kann der Beginn sein einer Wissensreise über das Warum und das Wie bis hin zum Ziel, dem vorläufigen Verständnis.

Der schlechte Bastard der Skepsis

Aber keine gute Idee der Zivilisation, die nicht auch Wirrläufer produziert. Skepsis ist da keine Ausnahme. Die moderne Medienmaschinerie hat im Verbund mit dem Internet einen schlechten Bastard der Skepsis ans bildschirmfahle Licht gebracht. Ein düsterer, dümmlicher Zwilling der Skepsis, den es schon immer gegeben haben mag, der aber durch das Netz besonders sichtbar wurde und aus allen Spalten quillt: die bitterfalsche Pseudoskepsis.

Nichts glauben, schon gar nicht denen da oben, drei Ausrufezeichen, „Lügenpresse“, noch mehr Ausrufezeichen. Skepsis fragt, Pseudoskepsis ruft aus. Die Schaumkrone der Pseudoskepsis bildet eben die Verschwörungstheorie, die die Beweislast mithilfe des Zweifels schlicht umdreht: Zweifel an A werden als Beweis für B betrachtet.

Und ja, das Internet mit seinen Echokammern und Filterblasen ist hervorragend als Nährboden für Pseudoskepsis und Verschwörungstheorien geeignet. Das Netz kann für den geneigten Nutzer wie eine semipermeable Membran wirken, die nur passende Informationen durchlässt. Aber natürlich greift es viel zu kurz, hier alles aufs Netz und die doofen User zu schieben.

Denn die Blüte der Pseudoskepsis ist keine digitale, sondern eine gesellschaftliche. „Unser Wissen ist ein kritisches Raten, ein Netz von Hypothesen, ein Gewebe von Vermutungen“, schrieb Karl Popper 1934 und verband so jedes Wissen mit dem Zweifel.

Skepsis in ihrer aufklärerischen Urform bedeutet deshalb immer auch, den eigenen Standpunkt in Frage zu stellen. Die Pseudoskepsis dagegen zweifelt an allem außer an sich selbst.

Reaktion auf die zunehmende Komplexität der Welt

Eine tiefe Selbstgerechtigkeit steht dahinter, und die gehört leider den Verschwörungstheoretikern nicht allein. Im Gegenteil scheint sie sich durch die gesamte Gesellschaft zu ziehen, Medien, Politik, Bevölkerung, überall die Überzeugung, nein – die Gewissheit, auf dem ganz genau richtigen Weg zu sein.

Man kann eine Form von Autosuggestion darin erkennen, eine Reaktion auf die zunehmende und verstörende Komplexität der Welt: Man erfüllt sich den Wunsch nach Klarheit, nach Eindeutigkeit und nach Einfachheit per Deklaration: Das ist jetzt aber wahr, weil es wahr sein soll. Gefälligst.

Nebenbei stellt sich eine merkwürdige Parallele ein zwischen denen, die hysterisch „Lügenpresse“ schreien, und denjenigen Medienleuten, die sich beim besten Willen nicht erklären können, worin dieser Schrei gründen könnte. Das Hinterfragen des eigenen Standpunkts erscheint nicht unbedingt als allergrößte Stärke des deutschen Journalismus. Eigentlich ja von niemandem.

Der schiefen Pseudoskepsis ist letztlich egal, ob irgendein Pressefuzzi sich jetzt hinterfragt oder nicht, sie ist tief in der Gesellschaft verankert. Die Begeisterung, mit der Esoteriker den aktuellen Stand der Wissenschaft aggressiv ignorieren, ist aus demselben Holz gedrechselt: aus der Pseudoskepsis.

Also dem Wunsch, kritisch zu sein, den man aber bei der nächsten Gelegenheit aufgibt, die sich gut anfühlt. Der Mechanismus, nachdem Impfgegner jede wissenschaftliche Studie als „von der Pharmaindustrie gekauft“ verteufeln, wenn sie ihnen nicht in den Kram passt, ist derselbe wie bei den „Lügenpresse“-Schreiern. Selektive Skepsis ist Pseudoskepsis.

Falsche und richtige Skepsis unterscheiden

Und an diesem Punkt kippt ein fester Glaube der aufgeklärten Gesellschaft, der zugleich ein Kampfruf der Netzoptimisten ist – nämlich die Überzeugung, dass Bildung eine Art Allheilmittel sei.

Dass mehr Bildung alles besser macht, Bildung, Bildung, Bildung! Berlin-Prenzlauer Berg ist eine Hochburg der Impfgegner, dort werden eigentlich im Griff geglaubte Kinderkrankheiten wieder zur Gefahr, und der Grund sind Eltern, die am Sinn des Impfens zweifeln.

Es handelt sich um hoch gebildete und tendenziell wohlhabende Bürger. Um Leute also, die Pegida ausgelacht haben, weil die wider jede Statistik wegen ihrer Bauchgefühle demonstriert haben. Und fünf Minuten später stillen sie ihren pseudoskeptischen Durst mit informiertem Wasser, das bei Vollmond an Bachblüten vorbeigetragen wurde.

Eine Pseudoskepsis, eine selbstgerechte, scheinkritische Haltung – sie ist der wahre Nährboden der Verschwörungstheorien, nicht das Internet, das diese moderne Form des Aberglaubens googlebar macht. Die falsche Skepsis von der „richtigen“ Skepsis zu unterscheiden im Zeitalter der digitalen Vernetzung, das könnte die Aufgabe einer neuen Aufklärung sein. Vielleicht. 

Die offenkundig Verwirrten sind überzeugt, dass Flugzeuge im Regierungsauftrag Chemikalien versprühen. Und wir anderen, die wir uns sonnen im Licht der selbstbehaupteten Klugheit? Sind wahrscheinlich bloß weniger offenkundig verwirrt.

tl;dr

Die quer durch die Gesellschaft blühende Haltung der Pseudoskepsis zweifelt an allem außer an sich selbst.

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