
Dämonisierte Digitalkonzerne
Internetunternehmen wie Google, Apple oder Facebook werden in der Öffentlichkeit oft dämonisiert. Das ist kontraproduktiv. Eine viel differenziertere Kritik wäre nötig.
„Internetkonzern XY frisst Babys!“ Dieser Ausruf scheint nicht mehr undenkbar, es wird von den entsprechenden Leuten vermutlich nur noch die genaue Zahl der Ausrufezeichen diskutiert. Auch in intellektuelleren Sphären und der Medienlandschaft wird Kritik an den großen Tech-Konzernen in zunehmend kreischigen Tönen formuliert.
Die derzeitige Nummer eins der Bestsellerliste, „The Circle“, ist ein lesenswertes, mit klug konstruierten Mini-Dystopien durchsetztes Buch. Leider bedient es in voller Absicht die herumwabernde Vermutung, hinter den Siegeszügen von Google, Facebook, Apple, Amazon stehe ein technofaschistoides Menschenbild. Und nicht etwa der Kapitalismus selbst.
Diese Dämonisierung wirkt kontraproduktiv, denn tatsächlich ist fundierte Kritik an der gebündelten Macht der Netzkonzerne und dem vorhandenen Machtmissbrauch längst überfällig. Samt einer gesellschaftlichen und politischen Reaktion wie etwa einer intelligenten Regulierung.
Polemik bringt nichts – es geht um tiefere Problemfelder
Aber Kritik, die nicht differenziert, gerinnt zur Polemik. Und was bei einseitiger, polemischer Pseudokritik herauskommen kann, lässt sich mustergültig am Leistungsschutzrecht für Presseverlage erkennen. Durch das aggressive Lobbyieren mit oft unlauteren Mitteln ist unter Schwarz-Gelb eine Diskussion zum Gesetz geworden. Das Leistungsschutzrecht hat großen Flurschaden angerichtet, zum Beispiel die Glaubwürdigkeit der Presselandschaft selbst beschädigt – aber sogar nach Ansicht des Bundeskartellamts exakt nichts beigetragen zur Lösung eines tatsächlich vorhandenen, katastrophalen Problems: Wie wird der Journalismus der Zukunft finanziert, wenn die Print-Erlöse nicht mehr ausreichen?
Gleichzeitig ist für einzelne Themengebiete nicht unendlich viel öffentliche Aufmerksamkeit vorhanden, es gibt einen Verdrängungseffekt, erst recht was die Wirkung auf die Politik angeht. Das ist fatal, weil bei gründlicher Betrachtung langsam die tieferen Problemfelder der digitalen Sphäre sichtbar werden. Damit ist nicht einmal die Totalüberwachung gemeint, denn in einer Demokratie sollte die Standardausspähung von Bürgern durch Behörden eigentlich ein Ausnahmeproblem sein. Eigentlich.
Die Gesellschaft ändert sich durch soziale Medien
Die weniger grundrechtsgefährdenden, aber interessanteren Entwicklungen sind jedoch diejenigen, die keine Ausnahme sind, sondern die zum gesellschaftlichen Normalzustand werden. Dazu gehört der sehr grundlegende Wandel der Öffentlichkeit durch soziale Medien, der nach außen und innen wirkt.
Dass die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) soziale Medien für ihre Propaganda nutzt, dass diese Propaganda in einer Art redaktioneller Zwangshandlung dadurch weiterverbreitet wird und dass sie obendrein noch zu funktionieren scheint und dem IS neue Kräfte zuführt – das gehört zu den wichtigsten Diskussionsfeldern der Öffentlichkeit. Denn hinter dem IS-Beispiel verbirgt sich ein unseliges Zusammenwirken von sozialen und traditionellen Medien. Die Inszenierung eines ultrabrutalen Konflikts als Real-Life-Actionfilm, dargeboten in Hunderten medialer Mosaiksteinchen, Filmchen, Fotos, Tweets, Facebook-Diskussionen, relevanzgeadelt durch die Redaktionen der Welt. An dem IS ist ein Mediendilemma erkennbar: Es besteht aus der Instrumentalisierung der Medienöffentlichkeit via Social Media, durch die zielgerichtete Produktion und Netzverbreitung von Ereignissen, über die Medien einfach berichten müssen: social Terror-PR, besonders gut funktionierend bei Leuten, die glauben, dass mediale Berichterstattung gleichbedeutend sei mit „Respekt“.
Aber nicht nur nach außen, sondern auch nach innen gibt es erhebliche Probleme mit der sozialen Medienöffentlichkeit, die dringend der differenzierten Diskussion bedürfen. Eine völlig unterdiskutierte Entdeckung über die Wirkung sozialer Medien hat der Harvard-Professor Jonathan Zittrain Anfang Juni 2014 beschrieben: Digital Gerrymandering per Facebook. Gerrymandering bezeichnet die bekannte Manipulation von Wahlergebnissen durch die kreative Gestaltung von Wahlbezirken. Zu den US-Kongresswahlen 2010 führte Facebook ein Experiment durch, das sehr viel tiefgreifender war als das im Frühsommer 2014 etwas hysterisch besprochene Stimmungsexperiment. In Zusammenarbeit mit Politikwissenschaftlern wurde ein „Social Wahlaufruf“ entwickelt: Auf Facebook wurde einer Gruppe von Leuten in einer Grafik sechs Freunde angezeigt, die schon gewählt hatten. Samt der Aufforderung, ebenfalls wählen zu gehen. Laut Untersuchung ließ sich die Wahlbeteiligung so signifikant steigern.
Die Diskussion geht in die falsche Richtung
Zittrain sieht die Möglichkeit, dass solche Wahlaufrufe nur denjenigen präsentiert werden könnten, die sich per Like als Anhänger einer bestimmten Partei ausgewiesen haben. Damit hätte Facebook ein machtvolles, von außen kaum zu entdeckendes Instrument zur direkten Wahlbeeinflussung. Und obwohl das so (vermutlich) bisher nicht geschehen ist, zeigt das Digital Gerrymandering beispielhaft nicht nur die ungeheure, ganz konkrete Macht eines sozialen Netzwerks. Sondern auch dass die wichtigsten Schwierigkeiten nicht unbedingt diejenigen sind, über die man besonders laut kreischen kann.
Man möchte lieber nicht wissen, was die Kräfte hinter dem Leistungsschutzrecht für verquere Antworten auf so ein komplexes Problem wie Digital Gerrymandering geben würden. Vermutlich würde man zwischen Absurditäten wie „Facebook-Verbot“ und „Algorithmen-Verstaatlichung“ politisch hin- und hertaumeln. Und so tatsächliche Lösungen verhindern. Die Diskussion um die Wirkung des Internet ist viel zu sehr auf die dankbaren Projektionsflächen „babyfressender Internetkonzerne“ beschränkt und guckt zu wenig auf die digitale Vernetzung, den Kapitalismus und die grundlegende Wandlung der Öffentlichkeit durch das Internet.
tl;dr
Die Dämonisierung der Netzkonzerne erschwert die notwendige differenzierte Kritik und damit auch die wirksame politische Regulierung.