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Wir brauchen ein superdummes Netz!

Verkehrsminister Alexander Dobrindt wünscht sich ein intelligentes Netz. S.P.O.N.-Kolumnist Sascha Lobo wünscht sich das Gegenteil. Denn wer ein intelligenteres Netz anstrebt, fordert auch ein besser überwachbares Internet.

Bei der Erklärung der „Digitalen Agenda“ durch die zuständigen Minister auf der Cebit fällt es etwas zu leicht, zwei Missgeschicke als symptomatisch zu betrachten. Zum einen brach während der Veranstaltung der Livestream ab. Zum anderen erklärte Digitalminister Alexander Dobrindt, man wolle eine Geschwindigkeit von 50 Mbit/S bis 2080 erreichen. Er korrigierte sich auf 2018, aber so ein verräterischer Versprecher ist natürlich lustig.

Gar nicht lustig, sondern brandgefährlich ist allerdings ein anderer Baustein der Digitalen Agenda: Dobrindt sprach von den „besten Netzen der Welt“. In welchen Kategorien er dabei denkt, wurde im Dezember 2013 deutlich, als er das „schnellste und intelligenteste Netz der Welt“ forderte. Schnell: toll, kann man immer brauchen. Und intelligent? Hört sich gut an. Ist es aber nicht. Im Gegenteil handelt es sich um einen geschickten Euphemismus für eine katastrophale Entwicklung. Um das zu verstehen, hilft der Blick zurück auf den 22. November 1977.

In den siebziger Jahren war in amerikanischen Universitäten und Unternehmen eine Vielzahl von lokalen Datennetzwerken entstanden, nach guter Nerd-Art situativ zusammengelötet, dass es eine Freude war. Allerdings eine lokal begrenzte Freude. Denn die Verbindung zwischen Netzwerken war durch diesen schönen, anarchischen Wildwuchs schwer möglich. Um aber alle mit allen vernetzen zu können – der gedankliche Vorläufer des Internet -, stellten zwei Gruppen jeweils ein Konzept vor. Die Internationale Fernmeldeunion ITU nannte ihres X.25, und es war wenig überraschend am Telefonnetz orientiert. Das ist ultrazentralistisch, die Steuerungsintelligenz liegt im Netz. Und damit bei den Anbietern.

Die andere Gruppe, ein Forscherteam aus dem Umfeld des Arpanet, wollte ein dezentrales Netz, das kaum mehr tun sollte als Daten durchleiten: ein dummes Netz. Die Intelligenz sollte dafür in den angeschlossenen Geräten liegen: Hier ist der Netzanschluss, da sind die Protokollregeln dafür, um den Rest müsst ihr euch selbst kümmern.

Am 22. November 1977 gelang es den Forschern, das Netzwerk der Universität in London und das der Universität von Southern California per Satellit zusammenzuschließen. Und dazu noch per Funk einen Rechner in einem Lieferwagen auf einem kalifornischen Freeway. Das taugte als Beweis, diese Herangehensweise konnte sich für den Datenaustausch durchsetzen. Der Name des Protokolls war TCP. Ohne dieses heute noch existierende Protokoll sähe das Internet vielleicht aus wie eine Mischung aus Bildschirmtext, Fernsehen und Telefonnetz.

Ein intelligentes Netz ist fatal

Diese historische Episode war einer der ersten Ausläufer eines noch immer andauernden Netzkampfes – Dezentralität versus Zentralisierung. Vereinfacht handelt es sich um die Frage, wo die Intelligenz der Vernetzung sitzt: im Netz bei wenigen Providern oder bei Milliarden Teilnehmern am Ende der Leitungen, den Computern und Servern. Je zentraler aber das Internet aufgebaut ist, um so kontrollierbarer ist es.

Deshalb haben amerikanische Überwachungsbehörden schon früh auf einen möglichst zentralisierten Aufbau des Internet hingewirkt. Der Weg, das Internet sicherer gegen die antidemokratischen Überwachungsradikalen zu machen, führt über Dezentralisierung. Deshalb ist ein intelligentes Netz fatal. Intelligenz ist hier gleichbedeutend mit der Möglichkeit der tiefen Kontrolle. Und seit Snowden ahnt man nicht, sondern weiß: Diese Möglichkeit wird missbraucht. Wer ein intelligenteres Netz fordert, fordert en passant ein besser überwachbares Internet, das schlechter geeignet ist für die technische Selbstermächtigung durch die Nutzer. Das ungefähr Letzte, woran gerade Mangel herrscht.

Der Grund, weshalb sich jemand die Formulierung vom „intelligenten Netz“ ausgedacht hat, ist aber nicht nur Kontrolle, sondern auch Geld. Um auch nur die theoretische Chance auf ein im Vergleich schnelles Netz zu haben, müsste das ganze Land verglasfasert und Milliarden durch den Staat investiert werden, denn das ist allein durch Unternehmen nicht zu refinanzieren.

Es sei denn, die Telekommunikationsunternehmen missbrauchen ihre infrastrukturelle Macht durch die Abschaffung der Netzneutralität. Das ist mit einem vermeintlich intelligenten, durchkontrollierten Netz einfacher als mit einem „dummen“ Datendurchleitungsnetz. Inhalteanbieter müssten dann Geld für die Durchleitung bezahlen – eine Unverschämtheit, denn es handelt sich um den gleichen Traffic, für den die Endkunden bereits bezahlen.

Und leider ergibt sich soeben eine neue Front wider die Netzneutralität, die ursprünglich von datenintensiven Plattformen erbittert verteidigt wurde, weil sie sonst viel Geld für die Datendurchleitung bezahlen müssten. Facebook ist inzwischen dabei, die Netzneutralität von der anderen Seite aus zu zersetzen. Die Tochter WhatsApp wird in Zukunft als Prepaid-Mobilfunkprovider auftreten. Der Traffic der eigenen Plattform wird jedoch nicht mitgezählt, die Plattform lässt sich auch ohne Guthaben nutzen. Facebook schuf das Modell schon vor Jahren mit 0.facebook.com. Faktisch bezahlt damit der Plattformanbieter für das Datenvolumen. Ein düsteres Zukunftsszenario, es kann bedeuten, dass nur viele Leute erreichen kann, wer ausreichend viel Geld hat. Das zementiert die digitalen Machtverhältnisse, und das Internet zerfällt in einen immer verfügbaren kostenlosen und einen kostenpflichtigen Teil.

Ein intelligentes Netz ist also ein etwa so intelligentes Konzept wie „intelligent design“. Zugegeben: Ein nicht unerhebliches Problem stellt die politische Kommunikation dar. Denn eigentlich müsste sich jemand vorne hinstellen und ein superschnelles, aber superdummes Netz fordern. Und wer könnte das politisch glaubwürdig verkörpern? Obwohl.

tl;dr

Ein „intelligentes“ Netz ist ein durchkontrollierbares und noch leichter überwachbares Netz und damit so erstrebenswert wie „intelligent design“.

Anmerkung: Die technischen Zusammenhänge sind hier zum besseren Verständnis leicht vereinfacht dargestellt. Und natürlich kann es unterschiedliche Interpretationen des Begriffs „intelligentes Netz“ geben, das bisherige politische Digital-Oeuvre lässt aber die hier verwendete, schlechtestmögliche Interpretation naheliegend erscheinen.

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