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Die Stunde der Sicherheitsesoteriker

Mehr Überwachung schafft mehr Sicherheit: Für den Wahrheitsgehalt dieses politischen Dogmas gibt es keine Beweise, doch wie in der Esoterik ist das den Protagonisten völlig egal. Der Sicherheitsapparat darf durch die Gegend spähen, auf bloße Behauptung gestützt.

Quer durch die Parteien zieht sich in der Politik der Wunsch nach mehr Überwachung, der verhindert, dass aus dem weltweiten Spähskandal in Deutschland die richtigen Konsequenzen gezogen werden. Nicht immer wird dieser Wunsch so explizit vorgetragen wie beim Standardruf nach mehr Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Bei der Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung (VDS) tarnt sich das Spähverlangen als Klage, dass effektive Ermittlungsinstrumente fehlen würden.

Sieht man von taktischen und lobbygeborenen Argumenten ab, speist sich der politische Wunsch nach mehr Überwachung aus zwei Quellen:

1. aus der Hoffnung, mehr Überwachung ergäbe mehr Sicherheit;

2. aus der Gewissheit, dass mehr Überwachung mehr Bürgerkontrolle bedeutet.

Der zweite Punkt – die Kontrolle, die durch Überwachung fast automatisch entsteht – ist der Grund, weshalb zum Beispiel „Angry Birds“-Spieler durch die NSA überwachtwerden. Das Terrorpotential dieses Spiels liegt bei null, außer man ist ein grünes Schwein. Dieser Punkt eignet sich allerdings nicht besonders gut, um die Öffentlichkeit zu überzeugen.

Mehr Überwachung bringt nicht mehr Sicherheit

Ekelfaszination stellt sich ein, wenn man sich dem ersten Punkt nähert. Dem Argument also, das zur Rechtfertigung pro Bürgerüberwachung von NSA bis VDS dient: mehr Überwachung gleich mehr Sicherheit. Leider ist diese Gleichung falsch. Zum Glück ist diese Gleichung falsch. Dass sie trotzdem verwendet wird, liegt daran, dass zu große Teile der Politik und der Gesellschaft anfällig sind für eine fatale Spielart der Scharlatanerie:

Sicherheitsesoterik.

Sicherheitsesoterik findet statt, wenn für sicherheitsrelevante Maßnahmen nicht beweisbar ist, dass sie überhaupt funktionieren. Sogar völlig abgesehen von den Kollateralschäden wie Grundrechtsverletzungen. Und wenn sie dann trotzdem verwendet, weiterverwendet und noch ausgebaut werden. Sicherheitsesoterik arbeitet auch mit einer Emotionalisierung der Überwachung in der Öffentlichkeit, weil Angst das Urteilsvermögen trübt. Vor allem aber hilft Sicherheitsesoterik dabei, in der öffentlichen Diskussion Argumente zu verwenden, die in allen anderen Bereichen als völlig absurd entlarvt würden. Genau wie bei der klassischen Esoterik eben. Die offenkundigen Parallelen zum Beispiel zwischen der Vorratsdatenspeicherung und Horoskopen sind erschreckend:

Bei der Vorratsdatenspeicherung gibt es für jeden einzelnen Punkt dieser Aufzählung eine Vielzahl von Belegen, die der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung dankenswerterweise seit Jahren auf einer sensationell hässlichen Website sammelt.

Sicherheitsesoterik ist in ihrer Wirkung deshalb so gefährlich, weil sie sich schlicht dagegen wehrt, von unabhängiger Seite evaluiert zu werden. Es scheint, als seien alle Erkenntnisse über die Realität seit der Aufklärung, jedes evidenzbasierte Vorgehen irrelevant. Wo Esoterik herrscht, müssen Fakten, Analysen, Realitäten zurückstehen, die Begründung ist allein die Behauptung, dass es halt so sein müsse:

  • Vorratsdatenspeicherung, weil Sicherheit!
  • Aber Beweis?
  • Egal, weil Sicherheit!

Überwachungsapparate stärken sich selbst

In der Sicherheitsesoterik liegt auch eine Verbindung zwischen der Vorratsdatenspeicherung und der Späheskalation der Überwachungsapparate, die Edward Snowden aufgedeckt hat. In den USA urteilte Ende Januar 2014 die unabhängige Regierungskommission Privacy and Civil Liberties Oversight Board in ihrer Bewertung der US-Version der Vorratsdatenspeicherung: „Wir haben nicht einen einzigen Fall der Bedrohung der Vereinigten Staaten identifiziert, bei dem die Überwachung von Telefon-Metadaten einen konkreten Unterschied bei der Aufklärung gemacht hätte.“

Ernsthafte Folgen dürften sich daraus nicht ergeben, weil Sicherheit. Wenn sich irgendetwas aus der Enthüllung des radikalsten Spähmonsters der Geschichte lernen lässt, ist es, dass Überwachungsapparate selbstverstärkende Systeme sind, die bis tief in die Verfassungsfeindlichkeit vor sich hin eskalieren. Deshalb wirken Selbstevaluationen so, als würde man einen Wunderheiler bitten, die Wirksamkeit seiner Bachblüten zu bewerten.

Die resultierende Forderung ist so simpel, wie sie selbstverständlich sein sollte: ständige, unabhängige Prüfung und Bewertung der Instrumente.

Sinn und Unsinn von Medikamenten werden so bestimmt, jede ernsthafte Wissenschaft basiert darauf, nur der Sicherheitsapparat darf mit seinem von Steuergeldern finanzierten Instrumentarium auf bloße Behauptung gestützt durch die Gegend spähen. Dabei gibt es eine ganze Reihe sehr gut funktionierender Ermittlungsinstrumente, die mit jedem Einsatz einer sicherheitsesoterischen Maßnahme geschwächt werden. Weil dort weniger Geld, Zeit und Personal verwendet stehen.

Das Wort „Esoterik“ bedeutet ursprünglich „eine philosophische Lehre, die nur für einen begrenzten, inneren Personenkreis zugänglich ist“. Im Gegensatz zur Exoterik, die sich auf öffentlich zugängliches Wissen bezieht. Volltreffer: Geheimnistuerei als Schutz vor Überprüfung, Sicherheitsesoterik ist der Anfang aller Bürgerüberwachung.

tl;dr

Wider die Sicherheitsesoterik. Für die Überprüfung von Überwachungsmaßnahmen von unabhängiger Seite.

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