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Spione, Krieg und Schufa

Für Unternehmen ist die digitale Welt ein Traum, für Datenschützer ein Alptraum: Der Konsument offenbart seine Geheimnisse und wird komplett durchleuchtbar. Die Schufa plante sogar ein Projekt zum Ausschlachten sozialer Medien. Das ist verwerflich. Plädoyer für eine neue Wirtschaftsethik.

Informationen in Naturwissenschaften können durch Erfahrungswerte gewonnen werden; die Gesetze des Universums können durch mathematische Schlüsse bewiesen werden. Doch die Pläne des Feindes sind durch Spione und nur durch sie zu ermitteln.

Vielleicht muss man mal mit rotnasigen Vertriebsveteranen spätnachts an der Bar eines Vier-Sterne-Hotels gesessen und sich ihre Geschichten angehört haben. „Petersen hatte den Abschluss über zweieinhalb auf der Zielgeraden danebengesetzt, und ich musste ihn da freischießen. Große Sauerei natürlich, aber ich meine, zweieinhalb!“ Vielleicht muss man mal beobachtet haben, wie ein Manager bei einer Kundenveranstaltung hinter die Bühne tritt und sofort in sich zusammensackt, als wäre er ein paar Minuten auf Fronturlaub. Denn er ist auf Fronturlaub, bevor er wieder auf die Bühne muss. Nach seinem Verständnis. Vielleicht muss man das erlebt haben, um zu ahnen, dass verstörend viele von denen, die das deutsche Bruttosozialprodukt zusammenschuften, Business für eine Art von Krieg halten.

Siegen wird der, der gut vorbereitet darauf wartet, den unvorbereiteten Feind anzugehen.

Wie NDR Info Anfang Juni 2012 herausfand, beauftragte die Schufa das Hasso-Plattner-Institut damit, die Möglichkeiten zu erforschen, die sich aus der Datenfülle der sozialen Medien ergeben. Es ist aber auch zu verlockend; ein Unternehmen, das seit 1927 die Auswertung persönlicher Daten betreibt, muss mit ansehen, wie mit den sozialen Medien der größte Personendatenberg der Geschichte entsteht. Jetzt steht es vor diesem Berg, etwas hilflos und ahnend, dass diese Datengebirge für Auskunfteien irgendwie geschäftsrelevant sein könnten. Für jemanden, der die Kämpfer für die Schlacht dort draußen mit seinen Berechnungen munitioniert.

Der General, der eine Schlacht gewinnt, stellt vor dem Kampf im Geiste viele Berechnungen an.

Der Informatiker und Datendenker Kristian Köhntopp hat die Lage von Institutionen wie der Schufa anhand der technischen Entwicklung weitergedacht. Wenn mit den sozialen Medien persönliche Daten mehr oder weniger frei zugänglich sind und Big Data, die Sammlung und Auswertung riesiger Datenmengen, keine Frage mehr ist von Millionen Euro, sondern nur noch von ein paar tausend – was passiert dann mit Auskunfteien? Zumindest müssen sie auf alle Entwicklungen vorbereitet sein.

Die Kunst des Krieges lehrt uns, nicht darauf zu hoffen, dass der Feind nicht kommt, sondern darauf zu bauen, dass wir bereit sind, ihn zu empfangen.

Große, digitale Konzerne arbeiten daran, die Konsumdaten der Nutzer ins Netz zu ziehen. Die kleine, etwas holprige Plattform Blippy.com ist nur dafür gebaut worden, jeden Kauf auf iTunes, Ebay oder mit der Kreditkarte über eine Schnittstelle direkt zu veröffentlichen. Facebook möchte die Plattform werden, auf der man mitteilt, wenn man Kulturprodukte konsumiert, vom Musikstück bis zum Film. Später sicher auch den Kauf des Flatscreens, der Kamera oder des Autos. Nach jedem Kaufvorgang bei Amazon erscheint ein kleiner Kasten rechts oben: „Teilen Sie Ihre Einkäufe anderen mit“. Darunter gibt es die Möglichkeit, mit einem Klick das soeben erworbene Produkt bei Facebook und bei Twitter zu veröffentlichen.

Konsumdaten gehören zu den wertvollsten persönlichen Daten, richtig aufbereitet bestehen sie für Werbetreibende aus purem Gold. Wer schon das teure Wursthandy 1 kaufte, ist natürlich der ideale Kunde für das noch teurere, neue Wursthandy 2. Aber die Auswertung von Konsumdaten ist ein essentieller Teil von dem, was Auskunfteien tun. Wenn Business Krieg ist, dann sind Auskunfteien die Spione. Und sie haben gut davon gelebt, weil bisher nur Datenhändler konnten, was Datenhändler tun.

Keine andere Beziehung [als die zu Spionen] sollte großzügiger belohnt werden. In keiner anderen Beziehung sollte größere Diskretion geübt werden.

Neue quasiuniversitäre Forschungsprojekte zum Thema Social Media – welches Unternehmen würde nicht diese Gelegenheit zur PR nutzen? Günstiger kommt man im Moment kaum in die Presse als mit irgendeinem wissenschaftlich angehauchten Studiengetöse zu Facebook und Twitter. Außer man ahnt, dass sich das Vorhaben eben nicht als Vorteil für alle Beteiligten verkaufen lässt. Weil es sich eigentlich um einen strategischen Zug im Kampf gegen den Gegner handelt.

Wahre Vortrefflichkeit ist es, insgeheim zu planen, sich heimlich zu bewegen…

Die auffällig plötzliche Umkehr des Hasso-Plattner-Instituts, das Fallenlassen der heißen Datenkartoffel – es wirkte, als fühlte man sich ertappt bei etwas Schlimmem. Weil genau das der Fall war. Frank Rieger hat in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gefordert, dass anhand dieses Falles eine Grundsatzdebatte stattfinden solle zum Thema Datenschutz. Das ist gut und richtig, aber vielleicht muss die Debatte noch drei Ebenen darüber geführt werden: als Diskussion über Wirtschaftsethik im Netzzeitalter. Denn die digitale Vernetzung hat den Spielraum der Möglichkeiten in bisher kaum erschlossener Weise erweitert, nicht nur, was persönliche Daten angeht.

Was früher nur theoretisch denkbar war, weil Kosten und Aufwand völlig unverhältnismäßig erschienen, ist heute ein paar Klicks entfernt. Persönliche Daten in sozialen Medien sind nur der Anfang. Eigentlich geht es darum, dass die Möglichkeitsmaschine Internet immer mehr Verlockungen bereithält, die durchführbar, aber verwerflich sind – in allen Bereichen. Und darüber muss eine Diskussion geführt werden: um die gesellschaftlich und keinesfalls technisch zu bestimmende Grenze zwischen machbaren und legitimen Aktionen. Denn es gibt einen Unterschied zwischen Krieg und Wirtschaft, es muss einen Unterschied geben.

Aus der Schrift „Die Kunst des Krieges“ von Sun Tzu stammen alle obigen Zitate (außer dem mit Petersen). Darin hieß es schon vor 2.500 Jahren: „Jede Kriegführung gründet auf Täuschung.“ Spätestens mit der exponentiellen Steigerung der Möglichkeiten durch die digitale Vernetzung darf es nicht mehr opportun sein, alles zu tun, nur weil es noch nicht gesetzlich geregelt ist. Die notwendige Diskussion über eine digitale Wirtschaftsethik wird aber nur Früchte tragen, wenn Wirtschaft eben nicht als eine Form von Krieg betrachtet wird, in der jede theoretische Möglichkeit, sich einen Vorteil vor dem Gegner – oder dem eigenen Kunden – zu verschaffen, ausgeschöpft werden muss.

Wenn der Feind eine Tür offenlässt, musst du hineinstürmen.“ Nein, musst du nicht.

 

tl;dr

Es muss eine Diskussion über eine digitale Wirtschaftsethik stattfinden, über die Grenze zwischen machbarer und legitimer Aktion im Netz.

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