
Gabeln aus dem Drucker
Der Streit übers Urheberrecht wird bislang vor allem um digitale Kulturgüter geführt. Dabei ist dieser Kampf erst der Anfang. Eines Tages werden auch materielle Dinge einfach kopierbar sein – dann surren aus den 3D-Druckern Geschirr, Stühle oder Sonnenbrillen. Das geht uns alle an.
Die Urheberrechtsdebatte ist der Nahostkonflikt der Internetdiskussion, sie erscheint jedenfalls ebenso lösbar und wirkt annähernd so erquicklich. Vordergründig wird so getan, als gäbe es eigentlich nur zwei Seiten. Tatsächlich ist die Zahl der Parteien und auch der Fronten um das Urheberrecht und seine Verwertung kaum überschaubar. Wodurch fast automatisch gröbste Vereinfachungen passieren und damit Ungerechtigkeit entsteht. Hollywood ist nicht Reinbek, und die Piraten betreiben keine Piraterie.
In einem klugen, vielzitierten Artikel diagnostiziert Frank Schirrmacher das gegenseitige Unwissen als Teil des Problems. Die plakativen Zuschreibungen und Verallgemeinerungen, die sich auf allen Seiten finden, taugen nur noch als Mittel der Frontenbildung und zur Selbstvergewisserung. Wer anklagend „Contentmafia“ schreit, weiß entweder wenig darüber, zu welchen Bedingungen der Großteil der Kultur entsteht – oder demagogisiert bewusst. Wer mit Abscheu die überzeichnete Gewaltmetapher „Raubkopie“ herausschleudert oder ständig vor der Abschaffung des Urheberrechts warnt, dämonisiert den 17-jährigen Gelegenheitsfilesharer ebenso wie diejenigen, die an einer einigermaßen fairen Modernisierung der Rechtslage interessiert sind.
Eine neue Maßeinheit für kaum lösbare Probleme muss her, Grad Verfahrenheit, und es scheint, als erreiche die Urheberrechtsdebatte inzwischen fast den Siedepunkt von 0,9 Palästina. Tatsächlich gäbe es für den Konflikt um die digitalen Rahmenbedingungen der Kultur einen einfachen, theoretischen Lösungsweg:
- simple, preislich attraktive Kaufmöglichkeit für digitale Kulturprodukte,
- Erhöhung der Kaufattraktivität durch kaum kopierbare Zusatzdienste zum Produkt,
- Eindämmung illegaler, kommerzieller Angebote, wozu bestehende Gesetze ausreichen,
- souveränes Ignorieren der restlichen Kopier- und Sharingmethoden.
Dazu gehört leider auch, eine halbe Generation potentieller Kunden vorerst abzuschreiben, weil sie große Teile der Inhalteindustrie hassen gelernt haben. Denn die beschriebene Lösung erfordert vor allem die Einsicht, dass es sich lohnt, für digitale Kulturprodukte zu bezahlen. Und Einsicht ist das Gegenteil von Hass, wie man wiederum im Nahen Osten lernen kann. Natürlich wird es mittelfristig nicht zu einer solchen Lösung kommen, weil sie zu simpel ist und zu sehr auf das wunderbarste, aber flüchtigste Gut der Zivilisation setzt: Freiwilligkeit. Aber auch, weil zu viele zu mächtige Akteure sowohl vom Status Quo profitieren als auch noch immer eine Maximallösung zu ihren Gunsten herbeipressen wollen. Dabei geht es am Ende nur um einen einzigen Punkt: das digitale Kulturgut trotz verlustloser Kopierbarkeit als verkaufbares Produkt zu erhalten, und dazu gehört zwingend die Einsicht des Publikums.
So weit, so verkorkst. Oberflächlich betrachtet könnte sich beim Urheberrechtskampf in der Medienarena die restliche Gesellschaft zurücklehnen. Es scheint ja nur um ein paar Kulturschaffende zu gehen, für 2006 wies das Statistische Bundesamt in Deutschland 871.000 Erwerbstätige in Kulturberufen aus. Die hohe Diskurslautstärke hängt sicher auch damit zusammen, dass die zweitgrößte Gruppe darunter Publizisten sind – also diejenigen, die die öffentliche Diskussion bestimmen.
Die Diskussion um das Urheberrecht betrifft viele Bereiche der Wirtschaft
Und doch lohnt es, die einzelnen Schlachten, die Frontverläufe und überhaupt den großen Kampf genauer zu betrachten. Denn der wichtigste Aspekt der Internetdebatte um das Urheberrecht kommt selten zur Sprache: Diese Diskussion bestimmt nicht allein die Zukunft der Kulturindustrie. So, wie jetzt um das Urheberrecht samt wirtschaftlicher Auswertung gestritten wird, wird überall dort gekämpft werden, wo die digitale Vernetzung disruptiv wirkt – wo Branchen, Geschäftsmodelle, Lebensentwürfe durcheinandergewirbelt werden, wie es jetzt mit Kunst und Kulturwirtschaft passiert. Und das dürfte in den kommenden Jahren sehr viele Bereiche der Wirtschaft betreffen.
Die gesamte Ökonomie auch außerhalb des Internets hat ein starker Sog in Richtung der Immaterialgüter erfasst, wie man nichtdingliche Güter, letztlich aus Daten bestehend, juristisch korrekt nennt. Das Immaterialgut aber unterliegt im Raum der digitalen Vernetzung anderen Regeln, als man es aus dem 20. Jahrhundert gewohnt ist und wie sie heute Wirtschaft und Gesellschaft prägen.
Zum Beispiel lässt sich die Verschiebung von der Hardware zur Software, vom greifbaren Ding zum Immaterialgut, selbst aus Laienperspektive erkennen. Früher kaufte man ein Nokia-Handy, heute kauft man ein Android-Handy. Schon die Verschiebung der Bezeichnung zeigt die Richtung auf. Es kommt der Zeitpunkt, wo ein Unterschied nur noch durch die Software erkennbar ist, das Gerät selbst ist nur noch austauschbarer Randbestandteil des Produkts. So erklärt sich auch der Erfolg der iPhone-Serie, die oft nur mittelmäßige technische Spezifikationen mitbrachte – aber als einziges Produkt über den Zugang zur hochattraktiven i-Immaterialwelt in Form von Software, Daten und Image verfügt. Deshalb ist das jeweils nächste iPhone das einzige Gerät, das jeder Applenutzer kaufen würde, ohne zu wissen, wie es aussieht: Es bringt die richtigen Immaterialwerte mit, die Hardware ist schmückendes Beiwerk.
Seit längerer Zeit halten sich Gerüchte, ein großer Automobilhersteller würde mit digitalen Produkten experimentieren: Apps, die direkt die Fahrzeugsoftware ansteuern. Fahrwerksabstimmung, Motorenleistung, Datenpakete für den Bordcomputer von Navigation bis Unterhaltung – immer mehr Details eines Fahrzeugs sind digital oder digital steuerbar. Man könnte dann zum Beispiel ein Sportpaket für sein Auto im Appstore kaufen oder übers Wochenende mieten. Und wieder gäbe es einen Wirtschaftszweig mehr, der mit den Eigenschaften von Immaterialgütern in Zeiten der digitalen Vernetzung zu kämpfen hätte.
Ein noch spannenderer Sog in Richtung Immaterialgut zeichnet sich schließlich vage am Horizont ab, allerdings ist noch unklar, ob es sich um das nächste große Ding handelt oder auf absehbare Zeit Quatsch mit Soße ist. Bisher sind 3D-Drucker eine Nerdspielerei, die entsprechenden Geräte sehen aus wie klingonisches Kinderspielzeug. Aber es ist eine Frage der Zeit, bis eine Reihe von Alltagsprodukten damit in akzeptabler Qualität hergestellt werden könnten. Und dann würde mit voller Wucht die Diskussion um Immaterialgüter mitten in die produzierende Industrie hineinkrachen: wenn sich jemand ein Geschirr ausdruckt oder einen Stuhl oder ein Sonnenbrillengestell. Weil die digitale Vorlage dafür im Netz kursiert wie heute ein Lied oder ein Film.
Die Quintessenz ist gleichermaßen ernüchternd wie wegweisend: Die Urheberrechtsdebatte ist der Prototyp aller zukünftiger Diskussionen um die digitale Gesellschaft. Der Kampf, den hier Produzenten, Produktverwerter, Plattformen, Publikum und Politik ausfechten, samt ihren allseits vielschichtigen, undurchsichtigen Lobbys – er ist ein Vorgeschmack auf die Zukunft. Kunst und Kultur sind wieder einmal Vorreiter gesellschaftlicher Entwicklungen. Nur diesmal ganz anders als erhofft.
tl;dr
Die Diskussion um Netz und Kulturwirtschaft ist erst der Anfang, bald erfasst sie alles, was vom Internet geprägt wird. Also fast alles.