
Schlechte Werbung schadet der Demokratie
Werbung ist gut für das Netz, so lange sie gut ist. Hässliche Werbebanner hingegen könnten sogar die Demokratie gefährden: So birgt Facebooks Börsengang eine Bedrohung für professionellen Online-Journalismus, warnt Sascha Lobo.
Selbst ein Archiv für schmerzhaft peinliche Familienfotos muss man lange durchsuchen, um etwas annähernd so trauriges zu finden wie die Geschichte der Online-Werbung. Es mag sich um das netzgegebene Schicksal einer Branche handeln, die am 3. Mai 1978 mit der ersten Spam-Mail im Arpanet geboren wurde.
Anfang 1993 legte einer der ersten Internet-Unternehmer, Tim O’Reilly (nebenberuflich Erfinder des Begriffs Web 2.0), den Grundstein für Werbung im Internet. Zu dieser Zeit war die National Science Foundation der USA für die Kontrolle des Internets verantwortlich – und hatte die kommerzielle Nutzung verboten. O’Reilly fragte den Internetbeauftragten auf einer Konferenz im Januar 1993 nebenbei um eine Werbeerlaubnis und bekam die Antwort: „Go for it.“ Das tat er mit der Firma GNN und wurde rasch mit den Schwierigkeiten des virtuellen Aufmerksamkeitsverkaufs konfrontiert.
So achselzuckend Web-Werbung begann, so schnell verwandelte sie sich vom schwierigen zum schmierigen Business. Die Werbebranche, ohnehin mit zweifelhaftem Renommee versehen, bekam zwischen Spam und Relevanz vortäuschenden Bannern ein natürliches Reservat für graue bis schwarzschillernde Schafe: Internet-Werbung. Als gerade die ersten seriöseren Medienunternehmen die neue Welt betreten hatten, wo man ernsthaft Pixel verkaufen konnte, änderte sich alles schon wieder mit der Implosion der New Economy. Im Anschluss wurde vor allem durch Google das Suchmaschinenmarketing immer relevanter, aber auch hier waren die Akteure eher nicht dazu geeignet, der Online-Werbebranche das verlorene Vertrauen zurückzugeben. Bis heute gleicht SEO (Suchmaschinenoptimierung) öffentlichen Toiletten: Kaum jemand bezweifelt ihren Sinn, aber es ist nicht der Ort, wo man gern Geschäfte macht, außer in zweifelhaften Branchen.
Banner sind auffällig oft Aufmerksamkeit heischend und hässlich
Entsprechend dieser Historie gibt es eine Korrelation, die der Branche zu denken geben sollte: je versierter ein Nutzer, desto weniger kann er in der Regel mit Online-Werbung anfangen. Dazu kommt eine unerfreuliche Art der Sippenhaftung, denn manche Bereiche des Internets fühlen sich ohne Werbeblocker an wie Mexiko ohne schusssichere Weste. Unter dem Einsatz der Werbefilter leiden aber auch Seiten, die keine nervigen Pop-ups, von allein startende Plärrfilme und ähnliche Zumutungen einbauen. Der schlechte Stern der Spam-Geburt hat zu einem Teufelskreis geführt: Banner sind auffällig oft Aufmerksamkeit heischend und hässlich, deshalb funktionieren sie immer weniger gut – weshalb sie noch Aufmerksamkeit heischender werden. Und damit meist hässlicher. Werbeformate haben sich außerhalb sozialer Netzwerke in den letzten Jahren kaum weiterentwickelt, wenn man vom sogenannten Targeting absieht. Dabei wird versucht, mit allerlei Datenabfragen und algorithmengestützen Vermutungen hässliche Banner an Leute auszuliefern, die sie nicht ganz so hässlich finden.
Auf diese Weise schafft Online-Werbung in fast allen Bereichen das Kunststück, gleichzeitig in den Kinderschuhen zu stecken und veraltet zu sein. Eindrucksvoll ist das zu bestaunen, wenn man auf Google nach Hunde-Kot sucht – und von Ebay eine Anzeige präsentiert bekommt „Kot Hund kaufen“, mit viereinhalb Sternen bewertet, Riesenauswahl, Mitbieten & Sofort-Kaufen. Falls Google und Ebay mit intelligenten Algorithmen arbeiten, verbergen sie es hier sehr geschickt.
In Gefahr gerät eine Überzeugung der Marketingbranche, die im 20. Jahrhundert zu einer Blüte professioneller Medien und damit des Journalismus führte: Werbung sei am besten neben Qualitätsinhalten aufgehoben. Das Problem ist leider nicht, ob das wahr ist (vermutlich ja) – sondern ob es sich für die Verwalter der Werbebudgets auch wahr anfühlt. An dieser Stelle taucht am Horizont ein blauer Riese auf, der die heutigen, harten Zeiten rückwirkend golden erscheinen lassen wird.
Facebook verbirgt die Ineffizienz seiner Werbung
Denn bisher hat Facebook noch kein Mittel gefunden, um die aberwitzig große Aufmerksamkeit angemessen zu monetarisieren. Im Jahr 2010 lieferte Facebook ein sagenhaftes Viertel aller Werbebanner in den USA aus, mehr als eine Billion Anzeigen. Und doch lag der Erlös daraus bei vergleichsweise unsagenhaften 1,8 Milliarden Dollar. Im gleichen Jahr hätte man mit einem Viertel der Fernsehwerbung knapp 15 Milliarden Dollar erlöst. Die Prognosen lauten, dass Facebook 2011 sogar fast ein Drittel aller US-Banner ausliefern wird: Facebook verbirgt die Ineffizienz seiner Werbung, indem es seine Banner von tausend Affen mit tausend Gießkannen ausliefern lässt – viel verdeckt viel. Leider könnte das Absicht sein.
Denn im Sommer 2012 geht Facebook an die Börse – und braucht vorher eine gute Story, um den kolportierten Wert von 100 Milliarden Dollar zu rechtfertigen. Dabei würde nichts besser passen als neue, verbesserte Werbeprodukte. Etwas Intelligenteres als die derzeitigen Einheitsbanner – homöopathisch häufig angeklickt bei etwa einem von 2000 Seitenaufrufen – dürfte machbar sein. Wenn Facebook das gelingen sollte, würde das soziale Netzwerk ungeahnte Mengen von Geld aus dem Online-Werbemarkt saugen. Als geeignetes Mittel würde vielleicht schon ausreichen, ganz normale Banner auch auf Facebook zuzulassen.
Die Chance, professionellen Journalismus im Netz kostenfrei zu halten, würde noch einmal dramatisch sinken: Ein einzelner Kontakt durch eine Anzeige bei Facebook kostet nur etwa ein Hundertstel des Kontakts auf einem redaktionsgetriebenen Medium. Ohnehin wird in den meisten Verlagen Online-Journalismus auch heute noch durch Printanzeigen mitfinanziert. Dafür gibt es zwar viele Gründe, von denen einige für die Verlage selbst wenig schmeichelhaft sind – aber das jemals zu ändern, dürfte mit Facebooks Börsengang sehr viel schwerer werden.
Der Online-Journalismus steht 2012 vor einer unangenehmen, existenziellen Aufgabe: Er muss einen Grund finden, weshalb der alte Deal „Aufmerksamkeit gegen Geld“, die wirtschaftliche Basis fast allen privaten Medienschaffens, noch für ihn gilt. Ihm gegenüber steht das Monstrum Facebook mit dem Druck des Monstrums Börse im Nacken. Es ist reine Spekulation, was passiert und passieren muss, wenn in Deutschland keine geeignete Antwort auf diese Frage gefunden wird. Aber einen guten Teil der Schuld wird die Online-Werbung selbst tragen, die Milliarden schlechter Banner, lächerlicher Anzeigen und Zumutungen, die ein normaler Internetnutzer durch die Web-Werbeindustrie all die Jahre ertragen musste. Und wenn am Ende Journalismus im Netz entweder zu PR-verseucht oder zu bezahlt ist, um seine gesellschaftliche Kontrollfunktion ausüben zu können, werden hässliche Banner zum Problem für die Demokratie.
tl;dr
Der Facebook-Börsengang birgt große Risiken für die Refinanzierung von Journalismus im Netz, weil Online-Werbung so hässlich ist.