Menu

Siegfried Kauder und der Große Bär

Ja, hier!
Ich!
Ich verdiene einen Teil meines Geldes, weil das Urheberrecht existiert, vor allem mit meinen Büchern, die in einem klassischen Verlag erscheinen, nämlich Rowohlt.

Ich mag die Substanz des Urheberrechts, ich bin der Überzeugung, dass bestimmte Formen des geistigen Eigentums für eine Gesellschaft sehr wichtig sind, weil dadurch das Nachdenken und Kreieren belohnt wird. Meine Idealvorstellung von Gesellschaft ist eine, in der viele, auch unterschiedliche Menschen hauptberuflich nachdenken und kreieren können. Und das Urheberrecht trägt dazu bei.

Allerdings ist das Urheberrecht vor drei Wochen 46 Jahre alt geworden, und damit, wie soll ich es sagen, nicht unbedingt ein Digital Native. Da helfen auch die Bypass-Operationen der vergangen Jahre, getarnt mit dem Wort „Körbe“, nicht wirklich weiter. Denn das Netz und auch der gesellschaftliche Wandel bedingen ohne jeden Zweifel ein neues, der digitalen Welt angemessenes und würdiges Urheberrecht. Wie das genau aussieht, kann ich nicht sagen, ich glaube, niemand könnte das derzeit, ich wäre aber gern bereit, daran in einem mir möglichen Rahmen mitzuarbeiten.

Denn ein digitales Fundament zu legen für das wichtigste Gesetz der zukünftigen Kulturlandschaft, das wird viel Arbeit sein. Der Interessenausgleich zwischen den unterschiedlichen Gruppen wird für sich genommen schon schwierig. Und ich möchte bei aller Liebe nicht, dass Menschenrechte, auch digitale, weniger Wert sind als das Urheberrecht und seine Durchsetzung. Völlig unabhängig davon, dass ich davon rein finanziell unter Umständen vielleicht eventuell nach Darstellung von Lobbygruppen vielleicht profitieren würde (was ich nicht glaube, übrigens).

Wegen der Komplexität und der überaus hohen Relevanz verlange ich als Autor und Bürger zuallererst, dass sich Profis mit der Entwicklung des neuen Urheberrechts beschäftigen. Leute, die wissen, was sie tun, eben Leute, die darüber hauptberuflich nachdenken.

Jetzt kommt Siegfried Kauder ins Spiel – oder eben gerade nicht. Kauder hat sich vor einiger Zeit auf peinliche Weise angebiedert bei einem Lobbyverband, der glaubt, er würde die Idee des Urheberrechts verteidigen, aber tatsächlich versucht, das 20. Jahrhundert möglichst lange aufrecht zu erhalten.

Und nun wird schlagartig klar: Siegfried Kauder ist der falschestmögliche Mensch, um an einem neuen Urheberrechtsgesetz für das Internet zu arbeiten. Nicht nur, dass es ihn selbst nicht kümmert, was die Bildrechte auf seiner eigenen Homepage angeht. Dazu noch gibt er eine Erklärung ab, die zeigt, dass er nicht einmal den Begriff „Urheberrecht“ richtig verwenden kann. Dabei ist die Beherrschung der Sprache seit über 2000 Jahren das Fundament von Gesetzestexten und Rechtsprechung, die ja genau deshalb auch so heißen. Als zusätzliches Sahnekrönchen hat Kauder mehrfach gezeigt, dass er vom Internet keinerlei tiefere Kenntnis besitzt, aber sich pressewirksame Meinungen anzueignen versteht.

Ich bin sauer, ich bin sehr, sehr sauer. Es gibt Kräfte, die das Urheberrecht abschaffen oder in die Unwirksamkeit treiben wollen. Dieses Vorhaben ist politisch auch ihr gutes Recht, die Begründungen dafür sind nicht mehr so hanebüchen wie vor ein paar Jahren, sondern kommen zunehmend intelligent und durchdacht daher. Wie beschrieben, halte ich diese Überzeugung für unrichtig, selbst wenn ich sie ernst nehme. Aber politisch für ein neues, ausgewogenes, durchdachtes Urheberrecht zu kämpfen, das erfordert doch Integrität, Sachkenntnis, Auseinandersetzung. Es erfordert – und da bin ich total altmodisch, ihr Flitzpiepen – es erfordert verdammte Vernunft. Vernunft wie in „die Realität nicht leugnen“. Vernunft wie in „die eigenen Worte ernst nehmen“, wer sollte sie denn sonst ernst nehmen können. Vernunft wie – Überraschung! – in „nachdenken“.

Siegfried Kauder hat sich mit seinen Aktionen und vor allem dem aktuellen Urheberrechtsdebakel samt realitätsferner Begründung zur Witzfigur gemacht. Er hat damit denjenigen, die ein neues, gutes Urheberrecht wollen, das in der digitalen Welt wirklich funktionieren kann, einen Bärendienst erwiesen, dessen dazugehöriger Bär ungefähr dem Umfang des Sternbilds Großer Bär entspricht.

Ich fasse zusammen: Jemand, der weder das Internet versteht noch den Begriff „Urheberrecht“ richtig zu verwenden in der Lage ist, der auf der eigenen Webseite keine Hemmungen hat, das Urheberrecht mit Füssen zu treten und anschließend kein echtes Unrechtsbewusstsein an den Tag legt, sondern in einer nordkoreanisch anmutenden, beinahe guttenbergischen Realitätsverdrehung versucht, sein eigenes Fehlverhalten als Beweis seiner abstrusen Vorstellungen von Urheberrecht und Internet umzudeuten – 

so jemand wie Siegfried Kauder also ist nicht nur Vorsitzender des Rechtsausschusses des Bundestags, sondern versucht auch, das Urheberrecht, von dem ich lebe, in die digitale Zukunft zu führen. Haltet die Druckerpressen an, streicht im Duden die Wendung „den Bock zum Gärtner machen“, schreibt fürderhin „den Kauder Gesetze machen lassen“.

Für mich führt an einem Rücktritt vom Vorsitz des Rechtssausschusses des Bundestags nach eingestandenem mehrfachem Bruch geltender Urheberrechtsgesetze kein Weg vorbei.

This Post Has 38 Comments

  1. Hallo Sascha,

    Ich gebe Dir völlig Recht. Kauder versucht eine Position einzunehmen, die er mit seinem Wissen zum Urheberrecht in keiner Weise ordentlich vertreten kann. Wir brauchen wirklich dringend ein zeitgemäßes Urheberrecht, denn ich erlebe leider immer öfter im Alltag Fälle, in denen Medienmacher an Ihr Grenze stoßen und nicht mehr wissen: “ Wie kann das „alte“ Urheberrecht in diesem Fall angewendet werden?“

    Gruß

    Marleen

  2. Ich fordere 3 Wochen – auch, was sage ich – 3 Jahre Internetverbot für Kauder! Und ich glaub noch nicht mal, dass er es merken oder bedauern würde.

  3. Du hast ein kleines(?) aber „even more damning“ Detail vergessen: Siegfried Kauder ist Volljurist. Nehmen wir mal an, er hat sich in seinem Studium und in seiner Referendarszeit nicht mit dem Urheberrecht befasst oder befassen müssen. Gut.
    Aber dann ist es seine verdammte Pflicht als Jurist, seine Hausaufgaben zu machen, also sich in das Thema einzulesen, wenn es auf seinem Schreibtisch landet!
    Als ausgebildeter Jurist sollte ihn das 1-2 Stunden kosten, im schlimmsten Fall nen Tag. Aber selbst nach 5 Minuten Beschäftigung mit dem Thema sollte man *als Volljurist* gelernt haben, dass das Urheberrecht nicht übertragbar ist.

  4. Hallo Sascha,

    ich stimme Dir in allen Punkten zu!

    Darüber hinaus fordere ich ein Politikverbot für Herrn Kauder, genauso wie auch ein Juristereiverbot.

    Wer beim Fahren ohne gültigen Führerschein erwischt wird muss schließlich auch mit entsprechenden Konsequenzen rechnen.

    Viele Grüße,

    Thomas

  5. am meisten beindruckt mich die reihenfolge:
    – two strikes inkl netzkappung fordern und versprechen
    – two strikes nachgewiesen bekommen
    – bilder aus dem html nehmen
    – behaupten man hätte jetzt irgendwelche rechte
    – noch so tun, als ob die angelegenheit ein argument in eigener sache wäre
    – vor nutzung der bilder in der berichterstattung (ich vermute mal leicht scherzhaft?) warnen
    – bilder nach wie vor auf dem server belassen.
    http://www.siegfriedkauder.de/Kauder2010/03_Wahlkreis/Fotos/ds_schloss.jpg

  6. Ich baue im Netz unter anderem auch eine Sprüche-und-Zitate-Sammlung auf, weil ich Sprüche und Zitate liebe. Aber wer kann mir erklären, was genau ich für die Sammlung laut Urheberrecht verwenden darf oder nicht? In den Details ist die Materie so kompliziert. Auch ich wünsche mir eine transparente, dem Internetzeitalter vernünftig angepasste Reform des Urheberrechts dringlichst.

  7. Leider ist Kompetenz nicht wesentlich für eine Karriere als Politiker. Sondern das Talent, Mehrheiten zu organisieren, gut vernetzt zu sein, machtvolle Leute haben, die einen pushen, und ein Ego wie eine Scheune zu haben, damit man sich ordentlich durchsetzen kann, auch wenn andere einem sagen, man habe nicht recht. Denn die gibts immer, im Zweifelsfall der politische Gegner.

    Dass Kauder in Bezug auf Kompetenz-Absenz rekordverdächtig ist und aufgrund seines Rechtsbruchs zurücktreten sollte, klar, da stimme ich sofort zu. Wird er aber nicht.

  8. Sascha Lobo: Kannst du zeigen, wo die Forderungen (wie sie zum zum Beispiel von der Piratenpartei verkündet werden) zur Einschränkung und/oder Abschaffung des Urheberrechts „intelligent und durchdacht daherkommen“? Ich sehe bis jetzt in allen Argumentation immer noch nur die Forderung nach „virtueller Anarchie“, die irgendwie, mit-Stock-im-Arsch-Formulierung, hedonistisch anmutet. Und vor allem unfair gegenüber den Produzenten von Texten, Musik, Bildern und Filmen.

    Ansonsten: Danke, wie du ausführlich darlegst, wie inkompetent Kauder im Gebiet des Urheberrechts ist. Das disqualifiziert ihn auch meiner Meinung nach für dieses Thema.

  9. Lieber Thomas, kein Problem, da verweise ich auf Dirk von Gehlen, der jüngst das Buch „MashUp – Lob der Kopie“ geschrieben hat bei Suhrkamp sowie das Blog http://www.neunetz.com von Marcel Weiß. Mit beiden bin ich schon mehrfach, sagen wir, aneinandergeraten zu dem Thema, weil ich eben anderer Meinung bin – aber musste jedesmal zugestehen, dass ihre Gedanken genau das waren: nicht unintelligent und durchdacht. Selbst, wenn ich vor allem Marcels Einstellung als Katastrophe empfinden würde, würde sie in Gesetztesform gegossen.

  10. Als Kauder die Two-Strikes-Sache brachte, fand ich das dämlich – aber auf eine naiv-lustige Art.

    Als Kauder dabei erwischt wurde, wie er selbst Bilder klaut, musste ich laut lachen. Haha! Der Brüller!

    Als mir heute klar wurde, dass er nicht nur Vorsitzender des Rechtsausschusses, sondern in Personalunion auch noch Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände ist, fiel ich fast vom Hocker. Wie ist so etwas möglich?? Mir wurde übel und ich fand es auch überhaupt nicht mehr witzig.

  11. Stephen Fry hat einmal einen wirklich guten Vortrag zum Thema gehalten. Zu finden in iTunes unter: Stephen Fry, iTunes Live Festival, Series 2, Episode 4
    Auch er profitiert als Künstler vom Urheberrecht und hat sich vernünftige Gedanken zum Thema gemacht.

  12. Viel früher schon hatten Menschen die Relationen in einem rechtwinkligen Dreieck erkannt. Pythagoras beanspruchte für sich der Urheber zu sein.

    Wie viele Politiker sind schon Urheber ihrer Reden? Müssten sie dies nicht deklarieren: „Dies, womit ich Sie gerade vollgequatscht habe, entstamm der Feder meines Beraters. Ich verkaufe diese Gedanken als die Meinen, da ich dennen vollkommen zustimme…“

    Wenn ich nehme, ist das Urheberrecht ein Übel – wenn ich gebe, wünsche ich mir den totalen Besitz.

    Geht es uns beim Urhebergesetz um Stolz, um finanzielen Vorteil?

    Ist es in Ordnung, dass Kinder keine Lieder singen können, weil diese Urheberrechtlich geschützt sind und der Lehrer die Texte nicht austeilen darf, da die Schule sich die Lizenzen nicht Leisten kann?

    Es geht doch gar nicht um das Internet. Wir haben nicht mal gelernt offline vernünftig mit dem Urcheberrecht umzugehen.

    Falls jemand sich bereichern, profitieren oder sich profilieren möchte, sollte man jenen bei den Eiern packen. Falls jemand aus dem Werk eines anderen neue Ideen enstehen lässt, sollte ihm die Nutzung gewährt sein. So einbisschen wie in der Mathematik!

  13. […] Das mag zum Teil an der Vehemenz liegen, mit der die Anliegen vorgetragen werden, an der Nähe zu den Printmedien bzw. dem oben erwähnten Eindringen der Blogger in die Printmedien. Das liegt aber auch daran, dass inzwischen anders über bestimmte Dinge nachgedacht wird, dass etablierte Politikerkreise nicht mit Vernunft überzeugen konnten und die Debatten damit für andere Argumente zugänglich gemacht haben. Bestimmte Positionen haben die Netzmenschen als “vernünftig” plausibel machen können. Die Wahrnehmung bei Netzthemen ist inzwischen insgesamt viel netzfreundlicher geworden und behandelt Meinungen aus dem Netz vielmehr als eine mögliche Meinung, die zumindest als rational oder sogar vernünftig3 erscheint. Sie wurde also in den Argumentationshaushalt unserer Öffentlichkeit aufgenommen. Auch wenn unsere Öffentlichkeit sicher nicht mehr die ist, die Habermas im “Strukturwandel” Anfang der 1960er beschrieb, scheint mir der Vorgang eben so zu verlaufen. […]

  14. […] nach eingestandenem mehrfachem Bruch geltender Urheberrechtsgesetze kein Weg vorbei.” Sascha Lobo zum Thema “Kaudergate” "Vorher fragen spart hinterher Ärger!" Eine banale, ganz unzweinullige Feststellung angesichts […]

  15. Oh Kauder, was für ein Schauder,
    von dir als Jurist so etwas zu vernehmen –
    wo bleibt nur dein Benehmen.

    Was bist du doch für ein Rechtsverdreher,
    null komma nix Versteher –
    und das als gewählter Ausschuss-Vorsteher.

    Schäme dich, gräme dich, überdenke dich –
    ja denken, das ist einfacher als Auto lenken –
    du verarschst und nicht, den Lobo und mich!

  16. […] Sascha Lobo schreibt zu Siegfried Kauder und dessen Urheberrechtsverletzungen: Es gibt Kräfte, die das Urheberrecht abschaffen oder in die Unwirksamkeit treiben wollen. Dieses Vorhaben ist politisch auch ihr gutes Recht, die Begründungen dafür sind nicht mehr so hanebüchen wie vor ein paar Jahren, sondern kommen zunehmend intelligent und durchdacht daher. Wie beschrieben, halte ich diese Überzeugung für unrichtig, selbst wenn ich sie ernst nehme. […]

  17. @thomas elsner
    Natürlich gibt es Ausnahmen, aber die Piraten im Gesamten wollen wohl kaum „das Urheberrecht abschaffen oder in die Unwirksamkeit treiben“. Auch den Piraten ist klar das ein Urheberrecht (in sinnvollen Grenzen) absolut nötig ist. Das dürfte den meisten Piraten schon deshalb klar sein, da sie selbst in Branchen arbeiten in denen das Recht an ihrer Arbeit elementar wichtig zur Monetarisierung ist.

    Ich finde dein Post hört sich irgendwie auch nach Kauder Gerede an. Schließlich hat auch der Probleme Urheber und Verwerter auseinander zu halten.

    Falls ich dich da falsch verstanden habe, sorry und streich das.

Schreiben Sie einen Kommentar zu Sascha Lobo Cancel comment reply

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzbestimmungen.