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Die Zeitung, das unbekannte Lesen

Gestern war ich Chefredakteur für einen Tag bei der Rhein-Zeitung. Bevor ich heute Abend das gesamte Projekt aus meiner Sicht bewerte, möchte ich den Anspruch dieser Unternehmung beschreiben und das Konzept dahinter. Kern des Konzepts war die Fragestellung, ob sich die Erkenntnisse der Informationsvermittlung im Netz zurück auf das Papier übertragen lassen. Dafür habe ich drei wesentliche (und medienneutrale) Kriterien des Publizierens im Internet identifiziert:

Interessantheit
Die Aufmerksamkeitsströme des Netzes richten sich danach, was als interessant empfunden und deshalb weiterempfohlen wird. Die Empfehlung ist der Informationsfilter der Zukunft und funktioniert nur, wenn der Empfehlende selbst interessiert ist. Mit der Annahme, dass sich Interessantheit vom Autor auf den Leser übertragen kann, ergibt sich: Jeder Artikelautor schreibt über ein Thema, was ihm wirklich am Herzen liegt, im Positiven oder im Negativen, Begeisterung zählt soviel wie Empörung.

Subjektivität
Vor allem Blogs, aber auch die meisten anderen publizistischen Formen im Netz sind offen subjektiv. Die Grenze zum seriösen Journalismus muss deutlich bleiben – aber der persönliche Standpunkt und auch das Pronomen „ich“ sind erlaubt und erwünscht.

Visualisierung
Das Internet ist ein sehr bildintensives Medium, Fotos, Grafiken, Visualisierungen unterstützen nicht nur die Texte wie in der Zeitung, sondern erzählen ihre eigenen Geschichten. Meine Lieblings-Zeitungsrubrik – von der ich mich immer noch frage, weshalb sie in Deutschland nicht angeboten wird – ist The Big Picture vom Boston Globe. Deshalb soll die Stimmung im RZ-Land in allen Regionen in Fotos von Profis und von Lesern festgehalten werden.

Hier kann man das Ergebnis als PDF-ePaper downloaden. Und hier finden sich die Dokumentationsbeiträge rund um die Aktion:
Sonderseite.

Mein persönliches Fazit – erscheint wie gesagt erst heute Abend, an dieser Stelle. Ich möchte nämlich unter anderem abwarten, wie das Produkt der Bemühungen von den Lesern angenommen wird.

This Post Has 12 Comments

  1. Hat es Ballacks Fußweh sogar noch am Tag 2 (der neuen Medien-Zeitrechnung nBF–>“nach Ballacks Fußweh“)auf Deine Seite 1 geschafft. Hier habe ich einen notwendigen Diskurs-Anstoß erwartet. Dein Aufmacher ist aber top und relativiert die Ballackerei. Die RZ-Gesamtausgabe wurde durch deinen Besuch angenehm berührt – so sehen es auch viele Kollegen: Gute Akzente, interessante Hintergünde. Die RZ ist eine lesenswerte Regio-Publikation. Dein CR-Tag zeigt: Eine monatliche Lobo-Ausgabe ist wünschenswert und würde die Rhein-Zeitung zweifellos noch aufwerten.

  2. Ich finde das Ergebnis ok und ansprechend, aber wirklich begeistert bin ich von der Aktion an sich. Schön aufgearbeitet und begleitet durch die zahlreichen Videos, Tweets, Bilder und Berichte war es ein spannend zu verfolgendes Experiment. Danke.

  3. Ich kenne die RZ sonst nicht.

    Mir fallen aber – auch und gerade im Lokalen – einige interessante Artikel auf, die mich auf Anhieb ansprechen, die gut umgesetzt sind, und die sich wohltuend von anderer Lokalberichterstattung abheben.

    Ansonsten sind viele Internetthemen im Blatt – die Frage, ob das Durchschnittsleser so goutieren. Aber wer ist schon der Durchschnittsleser?

    Spannendens Experiment! Wobei ich gern Mäuschen gespielt hätte in den Büros der Redakteure, wenn kein Chef dabei war.

  4. @Ralf Du hättest Dich als Mäuschen schnell gelangweilt: Da war – weil es gestern richtig viel zu tun gab – konzentriertes Arbeiten zu erleben. Murren hättest Du nach meinem Eindruck nirgendwo heraushören können – das hätte sich eingestellt, wenn wir jeden Tag unter den Bedingungen so arbeiten würden. Das wurde nämlich deutlich: In dem Umfang geht das nicht täglich – aber hin und wieder mal so gefordert zu sein, ist reizvoll, da geht man auch an Grenzen (langweilig ist uns sonst aber auch nicht!). Als Mäuschen hättest Du nach getaner Arbeit gelöste Stimmung und so was wie Stolz feststellen können – ich denke, die meisten von uns sind zufrieden mit dem, was wir und Sascha Lobo da herausgebracht haben. Es war inspirierend – und auch ermutigend, sich vom allgemeinen Strom öfter mal noch ein bisschen mehr zu lösen, noch stärker eigene Schwerpunkte zu setzen.
    Vielleicht hättest Du als Mäuschen bei dem ein oder anderen hier und da Schadenfreude gespürt, dass „der Blogger“ über den Zeitdruck und die Fülle zu fällender Entscheidung gestöhnt hat. Der ein oder andere Kollege hat sich vielleicht im Vorfeld durch Angriffe aus „dem Netz“ auf „die Holzmedien“ herausgefordert gefühlt und das dann auch auf Sascha Lobo projiziert. Sascha Lobo hat aber nach meinem Eindruck auch diesen Kollegen demonstriert, dass er eine sehr ausgewogene Sicht auf dieses Spannungsfeld (?) hat. Wir warten jetzt gespannt auf sein persönliches Fazit – unsere Bilanz fiel gestern Abend sehr positiv aus, und die bisherigen Reaktionen bestätigen uns da bislang.

  5. Kleine Reaktions-Bilanz der Rhein-Zeitung auf die Lobo-RZ: Früh am Morgen zwei Anrufe im Sekretariat – wegen zu vieler bzw. zu großer Bilder.

    (Zur Bewertung: Wenn wir unsere rund 200.000 Abonnenten mal richtig verärgert haben, sind es bis 10 Uhr schnell 20, 30 Anrufe.)

    Im Laufe des Tages erreichten uns dann Dutzende Anrufe, Mails und Faxe von Lesern ganz unterschiedlicher Altersstufen, die die Rhein-Zeitung im Zeichen des Lobo ausschließlich lobten – teils ausgesprochen euphorisch.

    Mehrfach gab es die Ermunterung, wir sollten uns künftig viel öfter beherzter vom Nachrichtenstrom lösen und nach eigenem Ermessen eigene Schwerpunkte setzen – so wie wir es in der Lobo-RZ ausgereizt haben.

    Eine Leserin mailte uns, dass sie unsere Zeitung eigentlich schon abbestellen wollte – aber nach der heutigen Ausgabe wieder an uns glaubt.

    Mein Eindruck, nicht erst seit dem Lobo-Tag: Es könnte sein, dass eine magazinigere Tageszeitung den Leserschwarm stärker anlocken würde als die gewohnten Mischkonzepte.

    Also: Mehr vom Weniger, weniger vom Mehr.

    Christian Lindner – Sascha Lobos Amtsvorgänger und -nachfolger.

  6. @Lars Wienand: Prima, das freut mich sehr! Ich habe eine ähnliche Nicht-alltägliche Aktion in einer Zeitungsredaktion miterlebt, die hektisch udn arbeitsintensiv, aber dafür neu, aufregend und spannend war. Und habe dabei die miese Stimmung von manchem Kollegen (davor, während und danach) miterlebt – was richtig abtörnt.

    Schön, dass es bei euch anders gelaufen ist. Wirklich eine tolle Aktion!

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